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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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an.
    »Charline!«
    »Ist ja gut, dann beiße ich mir eben auf die Lippe.« Das ist leise, damit bin ich einverstanden.
    »Absolute Dunkelheit ist unerträglich für jeden, der es gewohnt ist, zu sehen. Man verliert die Orientierung, das Gefühl für Weite und Nähe. Vertrautes fühlt sich fremd an, weil die Wahrnehmung über deinen Tastsinn anders ist als die visuelle. Es ist durch und durch unheimlich. Schon nach wenigen Augenblicken merkst du, wie sich auf einmal deine anderen Sinne schärfen. Du nimmst Gerüche wahr, die dir vorher entgangen sind, du hörst auf verschiedenen Ebenen – Unterschwelliges wie Rascheln oder Knistern, Mitteltöne – Knacken, Scharren, Knirschen – und die dominanten, lauten Geräusche, zu denen zum Beispiel Schreie oder ein Knall zählen. Unser Körper ist ein Anpassungswunder, unser Verstand hingegen boykottiert ihn oft und ist nur schwer von Veränderungen zu überzeugen.
    Dem ersten Schock über die Dunkelheit folgte gleich darauf ein zweiter: ein metallisches ohrenbetäubendes Quietschen drang mir durch Mark und Bein. Erschrocken fuhr ich hoch. Aus den Augenwinkeln sah ich Funken sprühen, die außen seitlich an der Bahn emporschossen wie eine glühende Fontäne. Ein heftiger Ruck schleuderte mich nach vorne, so dass ich mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe stieß. Ich verlor den Halt, geriet ins Straucheln – um ein Haar wäre ich auf Troy getreten. In letzter Sekunde bekam ich die Rückenlehne der Sitzbank rechtsseitig von mir zu fassen und krallte mich daran fest. Peter und den anderen erging es ähnlich. Ich hörte ihre polternden Schritte, spürte den Luftzug ihrer suchenden Hände, die ins Leere griffen. Um Troy zu schützen, stemmte ich mein linkes Bein gegrätscht über ihn hinweg auf den Boden. Schon beim nächsten Atemzug kassierte ich den ersten Tritt dafür, ich glaube von Peter. Aber es war mir egal, ich hielt es stillschweigend aus. Das Quietschen verwandelte sich in ein Ächzen und erstarb schließlich in einem langgezogenen Seufzer des Motors, der in diesem Augenblick seinen Dienst versagte und die Bahn zum Stehen zwang. Ein Tumult brach los. Die Panik der Fahrgäste entlud sich auf allen Geräuschebenen: Rumpeln, Krachen, Stampfen, Stöhnen, Wimmern, ein Schrei. Ich versuchte krampfhaft, ruhig zu bleiben, mich zu konzentrieren, aber es fiel mir unsagbar schwer. Es war so finster, Charline, und so beängstigend. Was hätte ich für einen Lichtstrahl gegeben. Hatte hier denn keiner ein Feuerzeug griffbereit? Eine Taschenlampe? Nein, niemand. ›Peter‹, rief ich ins Dunkel. ›Rita, wo bist du?‹, schallte es zurück. Er stand direkt vor mir. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und packte ihn am Arm. ›Hier‹, gab ich mich zu erkennen. ›Wir müssen uns um Troy kümmern.‹ Doch statt sofort zur Tat zu schreiten, klärte Peter unsere Truppe darüber auf, dass Troy einen Anfall hatte und am Boden lag. Warum auch beeilen? Es ging ja nur um Leben und Tod. Mit mahnender Stimme wies er die anderen an, sich vorsichtig, wenn überhaupt, zu bewegen. Der Wirt und sein Gehilfe wollten wissen, was los sei, wie es ihm gehe und ob sie helfen könnten. Peter verneinte und erstickte hektisch auch die Fragen der anderen im Keim, indem er eine Ohnmacht diagnostizierte. Für wen hielt er sich, für Dr. House? Ich war hier die Masseurin, die Fachkompetenz. Wenn hier wer was feststellte, dann ich. Für Einspruch blieb mir allerdings keine Zeit, ich musste handeln. Ich kniete mich neben Troy und tastete nach seinem Gesicht, um seine Atmung zu überprüfen. Aus Versehen bohrte ich ihm dabei meinen Finger in die Nase. Zum Glück kriegte er das nicht mit. Er atmete. Ich streichelte seine Wange. Sie fasste sich kalt und feucht an. Er kauerte schlaff in der Ecke. Ich küsste ihn auf die Stirn, unendlich dankbar, dass er nicht krampfte. Doch was nun? Ein bitterer Geschmack kroch meine Speiseröhre empor. Fühl seinen Puls, schoss es mir durch den Kopf – ich fühlte und fand ihn, ein schwaches Pochen, aber immerhin. Ich schwenkte meinen Arm nach vorne ins Dunkel, dort, wo ich Peter vermutete. Ich brauchte seine Hilfe, leider. Meine Finger streiften seine Wade. Er zuckte zusammen und wich zurück. ›Ich bin’s nur‹, besänftigte ich ihn, ›fass mal mit an, wir müssen Troy umlagern.‹ Peter hockte sich zu uns. Wir zogen Troy in die Waagerechte. Ich instruierte Peter, Troys Beine hoch auf seinen Schoß zu legen, während ich mich über Troys Oberkörper beugte, seine Schultern

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