Auf Couchtour
Römerzeit existiert und in ihrer ursprünglichen Version als Holzbrücke die Themseufer verband. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie mehrfach neu gebaut und büßte scheinbar bei jeder Erneuerung an Schönheit ein. Charline scheint ebenso enttäuscht zu sein und sieht sich das Bild im Reiseführer kaum länger als zwei Sekunden an. »Ja, ja«, hakt sie das Thema Brücke ab und drängelt: »Jetzt komm endlich zur Sache. Was ist mit dir und Troy?«
»Troy und ich spazierten im gewohnten Rhythmus auf die Brücke zu – zehn Schritte vor, zwei zurück. Er erzählte mir alles über die Konstruktion und Bauweise. Bevor er Polizist, sprich Officer, wurde, hatte er ein paar Semester Architektur studiert. Ich bin auf diesem Gebiet unbewandert, um es klar auszudrücken: absolut blöd. Und ganz ehrlich: Es interessiert mich nicht im Geringsten. An diesem Abend mimte ich jedoch den weltweit wissensdurstigsten Architektur-Fan. Zwischen meinen erstaunten Ausrufen: ›Ah!‹, ›Oh!‹, ›Ach ja?‹, ›Sag bloß!‹ usw. dachte ich nur eins: Küss mich endlich. Die Zeit rannte mir davon. Schon bald würde uns der anbrechende Tag auf ewig trennen. Jedes Mal, wenn er mich anschaute, spitzte ich die Lippen, neigte meinen Kopf schräg und verdrehte lasziv die Augen. Statt meiner Aufforderung zu folgen, reagierte er verunsichert. Er drehte lauter Zipfel in seinen Jackenärmel und fragte mich, ob es mir gut ginge! Dabei spitzte er ebenfalls die Lippen, weil er nicht anders konnte. Ich sollte an meinem erotischen Ausdruck arbeiten. Wenn ich dabei krank aussehe, ist es kein Wunder, dass er nicht verstand, was ich von ihm wollte. Mir wurde klar, dass ich die Initiative ergreifen musste, sonst würde ich zwar schlauer, aber unberührt den Rückflug antreten. Troy würzte seine Vorträge mit blutigen Details, um mir die Art von Geschichte zu liefern, die mich im London Dungeon erwartet hätte. Wie lieb. Er zeigte mir, wo man früher die Häupter von Verrätern zur Abschreckung auf Lanzen gespießt hatte. Er schnitt Grimassen und würgte sich selbst, damit ich einen bildlichen Eindruck seiner Schilderungen im Gedächtnis behielt. Alles prima, aber der gruselige Part war abgeschlossen, jetzt wollte ich den schmusigen! Ich schnappte ihn mir, mitten in seiner Performance, und küsste ihn – das volle Programm. Er breitete seine Arme aus und ruderte wie wild. Von mir aus, ich hatte ihn fest im Griff und nicht vor, ihn loszulassen, bis mein Verlangen gestillt war.«
»Rita«, ermahnt es mich streng. Das hätte meine Mutter sein können.
»Heutzutage ist es okay, wenn die Frau den Anfang macht«, rechtfertige ich mich. »Ich tat es ja nicht gegen seinen Willen. Er wusste nicht, wie – ich half ihm auf die Sprünge, so einfach ist das. Er war völlig aus der Übung, was es betraf, den richtigen Moment abzupassen, dafür aber umso geschickter im Umgang mit seiner Zunge.« Ich griene, weil ich ahne, was jetzt kommt.
»Rita!«, ertönt es erneut, diesmal eher entrüstet als streng. Bingo.
»Troy schmeckte besser als alles, was ich je zuvor probieren durfte. Ich spürte seine Erregung. Er wurde wilder und mutiger. Er hörte endlich auf herumzuwedeln und umschloss mich mit seinen Armen, hielt mich ganz fest. Ich wollte noch dichter an ihn heran, am liebsten in ihn reinkriechen. Ich tastete unter seiner Jacke nach seinem Po. Ich schwöre dir, der war wie für meine Hände gemacht. Ich griff zu und presste ihn an mich. Unsere Körper waren luftdicht versiegelt. Er stöhnte auf, forderte mich heraus. Charline, er brachte mich so auf Touren, dass ich es gleich auf dem Bürgersteig, an Ort und Stelle, mit ihm tun wollte.«
»Und? Hast du? Ich meine, habt ihr …?«
»Beinahe.«
»Was ist passiert?«
»Jemand schlug mir einen Stock ans Bein.«
»Was für einen Stock?«
»Ein blinder Mann, der freilich annahm, dass sich ihm um diese Uhrzeit keiner in den Weg stellen würde. Er hatte es eilig und schwang seinen Stock wie eine Machete – so, als müsste er sich durch einen Dschungel dreschen. Wir sahen ihn nicht kommen, wie auch. Sein Schlag traf mich unerwartet und heftig an der Wade. Autsch. Ich ging in die Knie. Troy fing mich auf. Unserer Intimität beraubt, brauchten wir ein paar Sekunden, um die Situation zu begreifen. Der Attentäter blieb stehen: ›Hallo, ist da jemand?‹ Was für eine dämliche Frage! In Gedanken antwortete ich nicht, sondern nahm ihm seinen Stock weg, verpasste ihm einen Hieb – dahin, wo er mich getroffen hatte –,
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