Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
uralt und wurde schon von dem französischen Mathematiker Pierre de Fermat 1662 entdeckt: Licht bewegt sich auf dem schnellsten Weg, nicht unbedingt auf dem kürzesten. Der durch die abendliche Atmosphäre leicht gebogene Sonnenstrahl erreicht uns so einen Moment früher, als wenn er den geraden Weg durch die darunter liegenden Luftschichten genommen hätte. Den Faktor, um den die Vakuumlichtgeschwindigkeit langsamer wird (und auch die Wellenlängen sich verkürzen), nennt man Brechungsindex. Er liegt um 1,5 für Glas, bei Luft dagegen nur eine Winzigkeit über 1. Nichts Neues so weit.
HABEN BEI DER GRAVITATION ALLE MASSEN DIE FINGER IM SPIEL?
Eine spektakuläre Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie ist, dass Sternenlicht um einen winzigen Winkel von 1,75 Bogensekunden abgelenkt wird, wenn es nahe an der Sonne vorbeikommt, was 1919 Sir Arthur Eddington mit seiner legendären Sonnenfinsternis-Expedition nachwies. 239 Wie schon Einstein im Jahr 1911, berechnete auch Dicke 1957 den Brechungsindex, den das Gravitationsfeld haben musste, damit es das Licht um den entsprechenden Betrag ablenkt. 240 Dieser ist natürlich nur ein wenig größer als 1, nämlich 1 + . Der Term, den man zu 1 addiert, ist das Gravitationspotenzial der Sonne geteilt durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Dicke ging aber noch einen Schritt weiter als Einstein und fragte sich: Die kleine Zahl auf der rechten Seite hängt offenbar nur von der Masse der Sonne M und dem Abstand r zu ihr ab – könnte es nicht sein, dass die linke Seite, 1, sich aus einer entsprechenden Summe mit allen anderen Massen des Weltalls ergibt?
Als ich das zum ersten Mal las, legte ich den Artikel fasziniert zur Seite. Eine kühne Vermutung! Den Gedanken Ernst Machs, alle Massen des Universums seien für die Gravitation verantwortlich, drückte Dicke erstmals in einer Formel aus. Und im Rahmen der Messgenauigkeit trifft diese Vermutung tatsächlich zu! Es handelt sich um die gleiche Koinzidenz G ≈ c 2 , die man heute Flachheit nennt.
(15) Robert Dicke
Im Gegensatz zu den billigen Erklärungen hätte Dickes Gedanke jedoch eine revolutionäre Konsequenz: Die Gravitationskonstante G wäre demnach keine unerklärliche Größe mehr, sondern durch die Massenverteilung im Universum berechenbar. Kurz gesagt: Das Gravitationspotenzial des gesamten Universums wäre proportional zum Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c 2 , wie die Einheit m/s 2 schon fast vermuten lässt – eine Idee von suggestiver Einfachheit.
Einstein war 1911 natürlich klar, dass sich eine veränderliche Geschwindigkeit c des Lichts auf dessen Frequenz f (Schwingungen pro Sekunde) oder auf dessen Wellenlänge λ (Lambda) auswirken musste, weil ja definitionsgemäß c = f λ gilt, oder in Worten: Bei kleinerer Geschwindigkeit muss entweder die Schwingungsfrequenz abnehmen oder die Wellenlänge (die pro Schwingung zurückgelegte Strecke) – oder beides. In welche der beiden Größen, f oder λ , sollte man die Veränderlichkeit hineinstecken? Anders als in der konventionellen Optik, wo die geringere Lichtgeschwindigkeit in Glas nur die Wellenlänge verkürzt, wählte Einstein die Frequenz, weil er wohl an den Zeitablauf dachte: 241 „Nichts zwingt uns zu der Annahme, daß die in verschiedenen Gravitationspotentialen befindlichen Uhren als gleich rasch gehend aufgefasst werden müssen.“ Er erhielt damit jedoch ein falsches Ergebnis, das er ein Jahr später aus anderen Gründen verwarf, und schließlich gab er den ganzen Ansatz mit der variablen Lichtgeschwindigkeit auf. Dicke hingegen fiel es mit den Daten der Sonnenfinsternis von 1919 leichter zu entdecken, dass sich die Veränderung von c gleichmäßig auf die Wellenlänge λ und die Frequenz f verteilen kann: Im Gravitationsfeld nehmen beide ab, und die Lichtgeschwindigkeit c relativ dazu um den doppelten Betrag.
Dickes Vorschlag ist nichts Geringeres, als die Gravitationskonstante selbst durch die Verteilung der Massen im Universum herzuleiten. Die Zahl der Naturkonstanten auf diese Weise zu reduzieren und eine willkürliche Zahl durch Verständnis zu ersetzen, wäre revolutionär. Warum kam es nicht dazu?
WAS IST KRUMM: DER RAUM ODER NUR DER WEG?
Vor allem werden Sie sich nun fragen: Wer hat eigentlich recht, Dicke oder Einstein? Die Antwort ist: beide. Dass die Krümmung des Raumes sich auch als variable Lichtgeschwindigkeit auffassen lässt, kann man praktisch in jedem Lehrbuch der Allgemeinen Relativitätstheorie lesen.
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