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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Unzicker
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    Ganz allgemein ist es kaum glaubwürdig, dass man Neutrinos immer gut vom unerwünschten Hintergrundrauschen trennen kann. John Ralston, der auf die methodischen Defizite der Dunkle-Materie-Experimente hingewiesen hat, 160 bestätigte mir in einer E-Mail, dass Neutronen ebenfalls ein Problem darstellen, weil sie scheinbare Neutrino-Signale erzeugen können: Auch in den niederenergetischen Neutrinoexperimenten werde die Wirkung der Neutronen nicht realistisch modelliert.
EDLE TROPFEN IN DER FLUT
    Von der Sonne kommen wegen der dort stattfindenden Kernfusionsprozesse übrigens ‚normale‘ Neutrinos. Antineutrinos werden hingegen bei der Kernspaltung erzeugt. Man kann sie deswegen in der Nähe von Kernkraftwerken finden. Die Symbiose von Kernreaktoren und Neutrinos begann 1956 mit einem Experiment von Cowan und Reines, das als erster direkter Nachweis von (Anti-)Neutrinos gilt. Die Methode beruhte darauf, dass ein Antineutrino aus dem Reaktor ein Proton in ein Neutron und ein Positron verwandeln konnte: Folgte auf ein sofort zerstrahlendes Positron nach kurzer Zeit ein Signal eines absorbierten Neutrons, deutete man es als die gesuchte Reaktion. Eine Darstellung dieser wichtigen Koinzidenzzählung fehlt jedoch beispielsweise in dem Artikel, der die Entdeckung beschreibt. 161 Von den pro Stunde durch den Detektor laufenden 500 Billionen Neutrinos fand man durchschnittlich drei (!) mit dem ersehnten Signal. Ohne am Enthusiasmus oder an der aufgebotenen Sorgfalt zu zweifeln, muss hier jeder unbeteiligte Beobachter allein aufgrund solcher Zahlen einen Rest von Skepsis bewahren. Das Phänomen der Neutrinos, das damit ein Vierteljahrhundert nach Wolfgang Paulis Idee als nachgewiesen galt, hat sicher eine reale Komponente und war mit der Physik der 1930er Jahre nicht zu verstehen. Aber die in den folgenden achtzig Jahren entwickelten Vorstellungen können unmöglich die einfachste und beste Erklärung sein.
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    Zweifel ist keine angenehme Voraussetzung, aber Gewissheit ist eine absurde. – Voltaire
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    Bei alledem steht übrigens noch die Frage nach der Masse bzw. Ruheenergie der Neutrinos unbeantwortet im Raum. Während Pauli eine Größenordnung im Bereich des Elektrons vermutete, suchen aktuelle Experimente bei millionenfach kleineren Werten von unter 0,5 Elektronenvolt – sehr ehrgeizig, und man kann nur hoffen, dass dies die schwierige Analyse nicht beeinflusst, denn Fehlalarme gab es schon zahlreiche. 162 Man will die Masse deswegen unbedingt finden, weil man von der Existenz von Neutrino-Oszillationen überzeugt ist, die eine von null verschiedene Ruheenergie erfordern. Nur: Welches Experiment kann schon zeigen, dass die Neutrinomasse exakt null ist? Hier taucht wieder das wissenschaftstheoretische Problem auf, wann man die Jagd nach dem immer weniger Sichtbaren am besten beendet.
WAS HEISST HIER EIGENTLICH SCHWINGUNG?
    Jeder Naturwissenschaftler versteht unter einer Oszillation ein Signal, dessen Intensität periodisch zu- und abnimmt. Höchst befremdlich ist, dass sämtliche Nachweise der Neutrino-Oszillationen nur auf einem Verschwinden des Signals beruhen, nie auf einer Zunahme. Auch die jüngsten Resultate der Kamioka-Mine, 163 die von japanischen Reaktoren umgeben ist, machen dabei keine Ausnahme. Es wäre an der Zeit, dass man zum Beispiel in unterschiedlichen Entfernungen von Kernreaktoren eine Ab- und Zunahme des Signals erkennen kann. Bisher sind nur Neutrinos einer anderen Sorte plötzlich wieder aufgetaucht – ein (!) Tau-Neutrino aus dem Large Hadron Collider im 730 km entfernten Gran Sasso, zu dem CERN-Chef Rolf-Dieter Heuer persönlich der OPERA-Kollaboration gratulierte. Nicht gratuliert hat er zu dem falsch eingesteckten Kabel, aufgrund dessen OPERA eine überlichtschnelle Ausbreitung von Neutrinos publiziert hatte 164 – diese hätte allerdings auch die ganze Physik über den Haufen geworfen. Hier wird letztlich nur offenbar, dass in komplexen Experimenten subtile und weniger subtile Auswertungsfehler sehr wohl passieren können. Aber es ist doch auffällig, um wie viel weniger nach solchen Fehlern gesucht wird, wenn das Ergebnis erwünscht ist.
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    Wenn das Resultat die Hypothese bestätigt, hat man eine Messung gemacht, wenn nicht, eine Entdeckung. – Enrico Fermi
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    Auf eine Frage, warum man Neutrino-Oszillationen nicht mit einer Zunahme von gleichartigen Neutrinos nachweist, wurde ich einmal wortreich belehrt, warum dies überflüssig sei. Ich verstehe es bis heute nicht.

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