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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Unzicker
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meilenweit entfernt.
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    In Wirklichkeit bilden wohl die Kernkräfte und die Beta-Zerfallskräfte eine Einheit. 167 – Werner Heisenberg
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NATUR VOM FLIESSBAND – DER TEILCHENZOO
    In der Nachkriegszeit erzeugten vor allem leistungsfähige Beschleuniger wie das Zyklotron neue Teilchen. Laboratorien und Gruppen wurden größer, die praktisch-technische Seite der Physik war durch die Wichtigkeit der Kernenergie aufgewertet, und die finanzielle Ausstattung erreichte neue Dimensionen. In einer Art von Kaufrausch wurden in den folgenden Jahrzehnten völlig hemmungslos neue Teilchen angeschafft, und kaum jemand hatte wissenschaftstheoretische Skrupel, wie diese jemals von einer Theorie zu verstehen wären – das Gebäude der Physik wurde zu einer Rumpelkammer ohne Entsorgungskonzept.
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    Aber ungezügelte experimentelle Entdeckungen sind nichts ausschließlich Positives; die Reihe neu gefundener Teilchen begrub unter sich die Versuche, ökonomische Theorien zu entwerfen. 168 – David Lindley
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    „Wir bemühen uns wirklich, pro Arbeit nur ein einziges neues Teilchen zu entdecken“, schrieb selbstironisch Patrick Blackett, der 1948 den Nobelpreis für eine Version der Nebelkammer erhalten hatte, in der man diese Ereignisse sehen konnte. Aber die Regression ins Datensammeln kennzeichnet die Krise einer Wissenschaft. Als einer der wenigen dachte Enrico Fermi noch laut darüber nach, wie viele Teilchen man ernsthaft als ‚elementar‘ bezeichnen konnte. 169
    Besonders viele davon produzierte Luis Alvarez, ein kreativer Physiker, der den Blasenkammer-Detektor durch neuartige Elektronik verbesserte. In der Begründung des Nobelpreises für Alvarez im Jahr 1968 wurde explizit die große Anzahl der entdeckten Teilchen gelobt: Sie seien entscheidende Beiträge zur Teilchenphysik. Entschieden hatte sich die Teilchenphysik damit für Wucherung. Während die Physik 1951 noch mit 15 Teilchen auskam, waren es acht Jahre später schon 30, um 1964 schließlich 70 bis 80; die Teilchen vermehrten sich wie die Kaninchen. Um diese Zeit kamen ein paar kuriose Moden auf, so etwa die ‚Bootstrap‘-Theorie, die – vielleicht zu Recht – die Unterscheidung zwischen elementaren und zusammengesetzten Teilchen aufheben wollte und nur noch mitschrieb, welche Teilchen sich ineinander umwandelten: so als ob die Zoologie vor jeglicher Klassifikation kapitulierte und nur noch nach Jagd- und Beutetieren einteilte. Warum nicht.
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    Junger Mann, wenn ich mir all diese Teilchennamen merken könnte, wäre ich Botaniker geworden. – Enrico Fermi, Nobelpreisträger 1938
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KOLLISIONEN VON TEILCHEN UND VON BEGRIFFEN
    Vielleicht ist hier eine Bemerkung angebracht, was ‚Teilchen‘ heute eigentlich bedeutet. Teilchen erzeugt man durch Kollisionen, bei denen die kinetische Energie des Projektils nach der Formel E = mc 2 ausreicht, um die Masse m zu generieren. Bei bestimmten Energien, zum Beispiel wenn es erstmals für ein Elektron-Positron-Paar reicht, steigt die Produktion, also die Reaktionswahrscheinlichkeit der Ausgangsteilchen, stark an. Nun dreht man den Spieß um und zeichnet auf, bei welchen Energien das Projektil nicht einfach unbehelligt weiterfliegt, sondern seine Reaktionswahrscheinlichkeit ansteigt – dort ist also vermutlich irgendeine Produktion im Gange! Besonders interessant sind zwar die ‚scharfen Resonanzen‘ oder ‚Peaks‘, die eine lange Lebensdauer des erzeugten Teilchens andeuten, aber im Prinzip kann aus jedem kleinen Huckel in einem Energie-Wahrscheinlichkeitsdiagramm ein Teilchen werden. Was während des Teilchencrashs aber wirklich passiert, davon hat man keine Ahnung.
    Natürlich muss die Hochenergiephysik manches indirekt nachweisen. Leon Lederman vergleicht die Beobachtung eines Teilchens mit einer Partie Fußball, 170 bei der der Ball unsichtbar ist – sicher könnte man auch aus den Bewegungen der Spieler allein erschließen, dass hier etwas im Spiel sein muss, ja sogar die Regeln erkennen. Aber ist das immer ein richtiges Bild? Schließlich könnten auch alle Bewegungen in einer vollen Diskothek mit der Annahme erklärt werden, die Leute würden sich permanent die verschiedensten Bälle zuwerfen. Man hat das Gefühl, die Teilchenphysik ist bei dieser Beschreibung angelangt, während seit fast hundert Jahren das Prinzip der Versuche gleich geblieben ist.
    Ernest Rutherford entdeckte 1914 die Atomkerne, indem er Goldatome mit schnellen Alphateilchen beschoss, die gelegentlich aus ihrer

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