Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
wie ich es hätte tun sollen, aber Sie kennen meine Seite der Geschichte nicht. Ich bin kein schrecklicher Mensch.«
Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Schließlich erklärte Marnie: »Brian hat nie etwas Schlechtes über Sie gesagt.« Das stimmte. Natürlich hatte Brian bei ihrer ersten Begegnung tatsächlich berichtet, seine Frau habe ihn verlassen, aber danach hatte er kaum mehr über sie gesprochen, außer voller Bewunderung. Marnie hatte natürlich ihre eigene Meinung zu Kimberly gehabt. Welche Mutter würde sich denn entscheiden, so weit entfernt von ihrem Kind zu leben? Marnie fand, dass das durch nichts zu rechtfertigen war.
»Na ja«, meinte Kimberly. »Das ist schwer zu glauben. Aber wohl gut so. Ich nehme es mal so hin.«
»Ah, der Kaffee ist fertig.« Laverne nahm die drei Becher und ging zur Kaffeemaschine, die noch immer tropfte, abereindeutig am Ende des Brauvorgangs angelangt war. Sie machte sich daran, die Becher zu füllen.
»Ich bin wegen einer Geschäftsmöglichkeit hierhergekommen. Geplant war, dass Brian das Haus verkauft und dann nachkommt. Ich habe Troy bei ihm zurückgelassen, weil ich so viel reise und warten wollte, bis ich Fuß gefasst hatte. Aber irgendwann im Verlauf des Ganzen hat Brian den Plan geändert und vergessen, mir Bescheid zu geben. Er hat das Haus nicht verkauft und hatte wohl auch nicht die Absicht umzuziehen.« Sie nahm einen Becher Kaffee aus Lavernes Hand entgegen. »Danke. Das riecht gut.« Sie stellte ihn vor sich ab. »Und ehe ich mich versah, rief meine alte Nachbarin mich an und erzählte, dass er eine neue Freundin hat und dass sie die ganze Zeit zu Hause bei Troy ist. Ich war am Boden zerstört.«
Marnie war so schockiert, dass ihr der Atem stockte. Wie war das möglich, dass sie jene andere Frau gewesen war?
Kimberly stand auf, um ein Fläschchen Kaffeesahne und drei Löffel zu holen, und stellte alles auf den Tisch. »Trinkt jemand mit Zucker? Nein? In Ordnung.«
Marnie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. »Ich hatte keine Ahnung«, erklärte sie entschuldigend. »Er hat gesagt, seine Frau habe ihn verlassen. Ich hatte keinen Grund, etwas anderes anzunehmen ...«
»Ich weiß«, erwiderte Kimberly und schob ihren Stuhl zurück. »Aber da ist noch etwas. Ich habe Brian danach gefragt und er hat erklärt, Sie seien die Babysitterin. Und nachdem Sie eingezogen waren, hat er mir erzählt, er habe eine Haushälterin engagiert, die mit im Haus wohnt. Die Tatsache, dass er etwa zur gleichen Zeit die Scheidung wollte, war absolut zufällig«, fügte sie trocken hinzu.
»Die Haushälterin?« Marnies Ohren brannten. »Das hat er Ihnen gesagt?«
»Ihr Mann hat Ihnen erzählt, seine Freundin sei die Haushälterin, und Sie sind darauf hereingefallen?«, fragte Laverne und nippte an ihrem Kaffee.
Marnie warf ihr einen warnenden Blick zu, besorgt, dass Lavernes Gewohnheit, alles auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging, Kimberly aufbringen könnte.
Sei einfach nett
, dachte sie.
Still und nett.
»Ich weiß, dass ich da nicht sehr scharfsichtig war.« Kimberly zuckte mit den Schultern. »Aber Brian konnte sehr überzeugend sein. Vor ein paar Jahren habe ich einmal Zweifel bekommen, aber als ich bei Troy nachgehakt habe, hat er geantwortet, Sie und Brian schliefen in getrennten Schlafzimmern.«
»So hat es nicht angefangen«, gab Marnie zurück. »Mit getrennten Schlafzimmern, meine ich. Anfangs hatten wir eine Beziehung und dann ... ist sie einfach irgendwie zu einem Nichts zusammengeschrumpft.« Ihr fiel nichts ein, was ihre Version der Ereignisse gestützt hätte. Verlieh die Tatsache, dass sie Brians Scheckheft verwaltet und die Rechnungen bezahlt hatte, ihr einen höheren Status? Hatte ihre Rolle als Troys Marnie sie aufgewertet? Im Rückblick war sie sich nicht vollkommen sicher, ob sie nicht doch nur die Haushälterin gewesen war. In diesem Fall hätte sie allerdings finanziell schlecht abgeschnitten. Zum Ausgleich hatte Brian ihr die Vorstellung vermittelt, sie sei Teil einer Familie. Aber selbst das hatte sich schließlich als falsch erwiesen. »Ich wusste allerdings nicht, dass Sie verheiratet waren. Das heißt, ich wusste es schon, aber ich dachte, Sie hätten ihn verlassen.«
»Das glaube ich Ihnen«, antwortete Kimberly. »Ihnen ist es genauso ergangen wie mir – Sie haben geglaubt, was man Ihnen gesagt hat.«
Marnie nickte. Sie und Kimberly waren gegeneinander ausgespielt worden und hatten die Wahrheit über die andere Frau nie erfahren.
Weitere Kostenlose Bücher