Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
Jahren hier arbeitete.
»Sie ist ein Naturtalent«, bemerkte Laverne und tunkte eine frittierte Süßkartoffel in Ketchup. »Und so, wie sie sich mit Carson angefreundet hat, glaube ich, dass sie hier bleiben wird.«
»Was meinst du mit hier bleiben?«, fragte Marnie. »Sie kann nicht hier bleiben.«
Laverne schnaubte. »Mir scheint, sie ist eine erwachsene Frau, sie kann tun, was sie will. Ich sag’s euch: Wir werden unsere Navigatorin verlieren. Jazzy hat sich verliebt.«
»Das ist doch lächerlich. Die beiden haben sich doch gerade erst kennengelernt.« Marnie blickte Rita bestätigungsheischend an. »Sie kann nicht hier bleiben. Wir sind gemeinsam hergekommen und werden auch gemeinsam aufbrechen. Sobald der Wagen fertig ist, sind wir hier weg, nicht wahr?«
Laverne zog eine weitere Süßkartoffelfritte durch einen Ketchuptümpel am Tellerrand. »Und ist euch schon aufgefallen, dass niemand irgendwas über den Wagen sagen kann? Nach allem, was wir wissen, könnte er längst verschwunden sein. Sie könnten ihn für’n Appel und ’n Ei verkauft haben. Und was machen wir dann?«
»Laverne!«, schimpfte Marnie. »Wie kannst du so was schreckliches sagen?«
»Nun ja, es stimmt aber. Einmal hat mein Vetter Marvin dem Bruder eines Nachbarn seinen Oldsmobile geliehen. Es sollte nur für einen Tag sein. Aber jetzt ratet mal. Er hat ihn nie wiedergesehen. Der Wagen war einfach verschwunden. Das geschieht öfter, als man meint.«
Marnie runzelte die Stirn. »Hörst du jetzt endlich auf?« Sie schnippte mit den Fingern vor Ritas Gesicht. »Rita! Sag ihr bitte, dass das nicht passieren wird.«
Aber Rita war nicht bei der Sache. Sie hatte nicht mehr zugehört, seit sie einen Mann gesehen hatte, der von der Theke aufstand und zur Kasse ging, um seine Rechnung zu begleichen.Ihre Kehle wurde ganz trocken und ihre Stimme versagte. Sie schluckte kräftig, hob die Hand und zeigte auf ihn.
»Was ist denn?«, fragte Marnie, drehte den Kopf und schaute hin. Lavernes Fritte war auf halbem Weg zu ihrem Mund und Ketchup tropfte vom einen Ende herunter, aber sie verharrte und spähte in die von Rita gezeigte Richtung.
Rita hatte das Hämmern ihres Herzens im Ohr. Sie senkte die zitternde Hand. »Er ist es.« Sie brachte die Worte kaum heraus.
»Wer?«, fragte Marnie.
»Davis.« Dann riss sie sich zusammen und sprach ein bisschen lauter. »Melindas Freund. Davis.« Er sah anders aus. Sein früher lockiges Haar war jetzt so kurz geschnitten, dass es fast wie geschoren aussah. Sie kannte ihn in Polo-Shirts und ordentlich gebügelten Hosen, aber heute trug er ein T-Shirt und schlammbespritzte Jeans. Aber er war es. Sie erkannte seinen Gang und seine lässige Art, die Brieftasche aus der Gesäßtasche zu ziehen, während er mit Beth plauderte, die hinter der Kasse stand. Sie konnte ihr fast die Standardfrage von den Lippen ablesen: ›War heute alles in Ordnung?‹ Sie hatte Davis nur im Profil vor sich, aber das genügte, um zu erkennen, wie er bei seiner Antwort und beim Aushändigen des Geldes strahlte. Rita kannte dieses Lächeln.
»Bist du dir sicher?«, fragte Laverne.
»Ja.« Sie wurde von Erinnerungen überflutet. Melinda und Davis abends an ihrem Esstisch. Die neckende Art, wie sie miteinander sprachen. Wie sie sich anlächelten. Und später dann die fröhliche Kameradschaft zwischen dem jungen Paar, die Rita so sehr an Glenn und sie selbst erinnerte. Sie war sich sicher gewesen, dass sie heiraten und dass er eines Tages der Vaterihrer Enkelkinder sein würde. Ihre schöne, wunderschöne Tochter, die einmal so verliebt und so glücklich gewesen war. Bis etwas ganz schrecklich schief lief.
Sie nahm ihre Handtasche, stand auf und ging zielstrebig auf Davis zu. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen würde, aber etwas, das stärker war als sie, trieb sie an. Hinter sich hörte sie Marnie »Rita!« sagen, als wollte sie sie aufhalten, aber sie war nicht aufzuhalten.
Eine jüngere Frau mit kurzem, dunklem Haar kam aus der Toilette und Rita blieb einen Augenblick stehen, um sie vorbeizulassen. Dann bereute sie es, weil die Frau ebenfalls nach vorn ging, und zwar viel langsamer als Rita. Die Frau trug ein dunkles Top und enge Jeans. An den Ohren baumelten Silberohrringe, ihre gebräunten Schultern und Arme waren von zahlreichen kunstvollen Tätowierungen bedeckt. Rita versuchte, an ihr vorbeizuschauen, um sich zu vergewissern, dass Davis noch da war. Mit einem Stich im Herzen erkannte sie, dass er nicht nur noch immer an
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