Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
hat sich ziemlich eindeutig geäußert«, entgegnete Rita. »Er hat erzählt, dass Melinda Davis in der Kneipe immer wieder angerufen hat und dass Davis wütend war, als er aufbrach.«
»Haben Sie das der Polizei berichtet?«
»Als die Polizei ihn nochmal vernommen hat, ist der Bruder bei seiner ursprünglichen Geschichte geblieben. Und dann, ein paar Wochen nach Melindas Tod, sind ein paar ihrer anderen Freunde zu uns gekommen. Sie erzählten, dass Melinda sich von ihm trennen wollte, er sei zu launisch und kompliziert gewesen. Sie hätte seine Eifersucht satt gehabt.« Rita blickte nach unten. »Ich dachte immer, ich würde meiner Tochter nahe stehen, aber davon hat sie mir nie etwas erzählt. Ich hätte mich eingemischt und ihr geholfen, wenn ich davon gewusst hätte.«
Jazzy legte ihr die Hand auf den Arm. »Schon gut. Du wusstest es eben nicht.«
Rita blickte zu Officer Wihr auf. »Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Davis war immer wunderbar, wenn er bei uns war. Wie ein Teil der Familie. Er ist Glenn beim Grillen zur Hand gegangen und hat immer angeboten, beim Abwasch zu helfen. Er hat gerne unsere alten Fotoalben angeschaut und Bilder von Melinda als kleines Kind betrachtet. Er hat dann immer gesagt: ›Wisst ihr, ich bin süchtig nach eurer Tochter.‹«
»Er sagte, er sei
süchtig
nach Ihrer Tochter?«
»Andauernd. Ich weiß, das klingt unheimlich, aber er sagte es irgendwie scherzhaft, während er mit ihrem Haar gespielt hat oder ihre Hand hielt ...«
»Es tut mir leid, aber ...« Officer Wihr stand unvermittelt auf und ihr Stuhl rutschte scharrend übers Linoleum. »Ich brauche kurz Zeit für mich.« Sie stieß sich vom Tisch ab und ging rasch weg. Unmittelbar bevor sie den Korridor am Ende des Raums erreichte, blickte sie sich noch einmal um und sagte: »Bitte, gehen Sie nicht weg. Ich bin gleich wieder da.«
Officer Mahoney, der eindeutig besorgt wirkte, erhob sich von seinem Schreibtisch und kam auf ihre Seite des Raums.
»Wir haben einfach nur ...«, begann Rita zu erklären, aber er unterbrach sie mit erhobener Hand.
»Ich habe alles gehört«, meinte er. Er sah jetzt etwas jünger, aber gleichzeitig selbstsicherer aus als zuvor. »Das ganze Gespräch. Sie hatten recht. Sie kennt Davis. Wenn es sich wirklich um denselben Mann handelt, kennen wir ihn alle.« Er setzte sich ihnen gegenüber hin, nahm eines der gerahmten Fotos vom Schreibtisch und drehte es so, dass sie es sehen konnten. »Ist er das?«, fragte er.
Rita keuchte erstaunt auf. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es war ganz eindeutig Davis. Auf dem Foto hatte er den Arm um das dunkelhaarige Mädchen gelegt, das sie auf dem Restaurantparkplatz gesehen hatten. Sophie hatte er sie genannt.
»Das ist er«, sagte Jazzy. »Ohne jeden Zweifel.«
Rita stand auf, nahm Mahoney das Foto aus der Hand und betrachtete es. Das Paar auf dem Bild steckte in förmlicher Kleidung und stand unter einem blumenumkränzten Bogen. Als wären sie bei einer Hochzeitsfeier zu Gast. Sophie blickte strahlend zu Davis auf, während er geradeaus schaute und wie ein Star in die Kamera lächelte. Wie gut sie diese Art Bild kannte. Sie besaß ähnliche Fotos von Davis und Melinda. »Das Mädchen ist Officer Wihrs Tochter?«, riet sie.
»Ja, sie sind verlobt. Sie leben zusammen.«
»O Gott.« Rita fuhr mit dem Finger über das Glas. Wieder eine reizende junge Frau, diesmal die Tochter von jemand anderem. Wahrscheinlich gab er auch Sophie das Gefühl, geliebt zu werden und etwas Besonderes zu sein.
»Alle mögen Davis wirklich gern«, erklärte Officer Mahoney. »Ich habe ihn mehrmals persönlich getroffen und er hat nie etwas gesagt oder getan, was ihn verdächtig machen würde. Ich besitze eine ziemlich gute Menschenkenntnis.«
»Ja, er ist ein Blender«, erklärte Rita.
»Er lebt mit Sophie zusammen?«, fragte Jazzy.
»Ja, und er arbeitet für Judys Mann.«
Rita wandte den Blick nicht von dem Foto. Sie kam nicht darüber hinweg, dass Davis die ganze Zeit, in der sie ihn gesucht hatte, hier gewesen war. Sie hatte sich vorgestellt, er sei auf der Flucht, schlafe in Obdachlosenasylen und bettele um Almosen. Es schien ihr nur gerecht, dass er leiden sollte. Aberdiese Vorstellung war vollkommen falsch gewesen. Er hatte überhaupt nicht gelitten. Vielmehr hatte er wieder in seine Trickkiste gegriffen – die Leute mit seinem Aussehen und seiner Art für sich eingenommen und bekommen, was er wollte. Er hatte sich überhaupt nicht verändert, nur seinen
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