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Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)

Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)

Titel: Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen McQuestion
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mir leid. Ich bin normalerweise kein gewalttätiger Mensch.«
    »Das verstehe ich«, gab Judy zurück. »Ich würde genauso empfinden. Aber ich brauche eine Lösung, die mich nicht ins Gefängnis bringt.« Sie blickte mit einem Seufzer zur Decke auf. Ihre Augen zuckten hin und her, als befände sie sich, hellwach wie sie war, in einer REM-Phase. Nach ein paar Minuten sagte sie schließlich: »Ich glaube, mir ist etwas eingefallen. Haben Sie ein Foto von Ihrer Tochter mit Davis dabei?«

39
    Sie aßen in einem Fernfahrerlokal in Utah zu Abend. Es war viel los und die Gäste waren überwiegend große Männer mit dröhnenden Stimmen. Sie saßen hinten, in der Nähe der Küche, und der Geruch von Hähnchenteilen im Teigmantel und Bratkartoffeln erfüllte die Luft. Als das Essen kam, sah Laverne mit Vergnügen die großen Portionen und die in hohen Gläsern mit Eis servierten Getränke. »Wo viel Betrieb herrscht, weiß man immer, dass das Essen gut ist«, meinte sie und machte sich über ihren Hackbraten her. Marnie nickte zustimmend, auch wenn sie von dem BLT-Sandwich, das sie selbst bestellt hatte, nicht ganz so begeistert war. Der Bacon war zwar knusprig gebraten, aber die Tomate hatte einen anämischen rosa Farbton und der Eisbergsalat war an den Rändern braun. Sonst war allerdings alles in Ordnung. Die Kellnerin, eine Wasserstoffblondine Mitte sechzig namens Shirley, war freundlich und alles auf der laminierten Karte war billig.
    Als sie gegessen hatten, brachte Shirley eine handgeschriebene Rechnung auf einem postkartengroßen Zettel. »Sie können vorne an der Kasse zahlen«, meinte sie und klatschte den Zettel auf den Tisch. »Ich wünsche Ihnen eine guteFahrt.« Marnie stellte sich vor, dass sie diese Worte schon tausend Mal und öfter gesagt hatte. Sie mussten in ihren Mund eingeätzt sein, in ihre Stimmbänder, ja in ihr innerstes Wesen.
    Als Laverne ihre Brieftasche herausholen wollte, hielt Marnie sie auf und öffnete ihre Handtasche. »Ich bin mit Zahlen an der Reihe. Erinnerst du dich?« Jetzt, da sie nur noch zu zweit waren, waren sie dazu übergegangen, sich beim Begleichen der Rechnungen abzuwechseln. Es schien einfacher.
    Laverne nickte. Sie legte ihre Serviette weg und sagte: »Dann mach ich mal einen kurzen Boxenstopp, während du zahlst.« Die Handtasche an sich gedrückt, schlenderte sie davon und grüßte im Vorbeigehen die an der Theke sitzenden Fernfahrer. Marnie suchte in ihrer Brieftasche nach einem Zwanzigdollarschein und stellte sich dann hinter einem weiteren Gast an der Kasse an. In diesem Moment bemerkte sie den Jungen, der ein Stück hinter der Registrierkasse auf einem Klappstuhl saß. Seine Fußknöchel waren mit einer Schnur an den Stuhlbeinen festgebunden. Er trug eine zerrissene Bluejeans, ein ärmelloses T-Shirt und hatte ein rotes Kopftuch über sein loses Haar gebunden, als wäre er einer Boygroup der 1990er entsprungen. Er schien in Troys Alter zu sein, vielleicht ein wenig älter. Nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen ging es ihm hundsmiserabel; er warf immer wieder Blicke zum Parkplatz und kaute nervös auf der Unterlippe herum. Marnie fühlte sich merkwürdig zu dem Jungen hingezogen. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie und als er aufblickte, sah sie intensive graue Augen unter dunklen Wimpern.
    »Machen Sie sich um einen wie den keine Sorgen«, meinte der korpulente Mann hinter der Kasse. Ohne dass Marniees bemerkt hatte, war ihr Vordermann in der Schlange abgefertigt worden, und nun war sie an der Reihe. »Der Junge bekommt, was er verdient.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass mein Dad kommt und mich abholt! Er hat meine Brieftasche«, sagte der Teenager, halb Jammer, halb Empörung in der Stimme. Marnie kannte diesen Tonfall gut. Sie hatte ihn oft genug von Troy gehört.
    Sie trat zur Theke und reichte dem Mann die Rechnung und das Geld. »Was hat er denn angestellt?«, fragte sie mitfühlend. Der Junge sah so aus, als müsste man ihn mal in den Arm nehmen und ordentlich drücken. Sie war geradezu selbst in Versuchung.
    »Er hat Essen bestellt und jetzt kann er nicht bezahlen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hat er auch noch versucht, eine meiner Kellnerinnen zu bestehlen. Er hatte seine dreckigen Pfoten direkt in ihrer Tasche. Wenn es nicht einem anderen Gast aufgefallen wäre, wäre er mit ihrem Geld abgehauen.« Der Mann zählte das Wechselgeld zweimal ab, bevor er es über die Theke reichte. »Die Polizei ist auf dem Weg.« Er betrachtete den

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