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Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)

Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)

Titel: Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen McQuestion
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Jungen mit drohend hochgezogenen Augenbrauen. »Oder zumindest wird sie das sein, wenn ich sie erst einmal angerufen habe. Im Moment bin ich in Versuchung, den Burschen einfach selbst zu bestrafen.«
    »Das ist ein bisschen hart, finden Sie nicht?«, fragte Marnie. »Er ist doch noch ein Kind.« Der Junge hob den Kopf und warf ihr einen dankbaren Blick zu. Mit dem Haar, das stachelig unter seinem Kopftuch hervorlugte, sah er herzzerreißend jung aus. Sie konnte sich vorstellen, wie er morgens vor dem Spiegel stand und versuchte, das Tuch genau richtig zurechtzurücken,und wie er es dann wieder aufmachte und von vorne anfing. In diesem Alter war Image doch alles.
    Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Ich führe ein Lokal und keine Suppenküche. Und die Mädels, die hier arbeiten, haben jeden Cent ihres Geldes verdient. So ein Mistkerl, der sie übers Ohr haut, hat denen gerade noch gefehlt.«
    Marnie nahm ihr Wechselgeld entgegen und als die fette Pranke des Mannes ihre Hand streifte, überkam es sie mit einem Ruck. Als spürte sie das Universum. Plötzlich sah sie das Ganze, als blickte sie von oben auf das Geschehen hinunter. Der reumütige Junge auf dem Stuhl, der unnachgiebige Wirt und sogar sie selbst, Marnie, früher eine graue Maus, aber jetzt jemand, der Verantwortung übernahm. Sie waren alle Spielfiguren in einem lebendigen Brettspiel und nun war sie mit Ziehen an der Reihe. Hinter ihr sagte ein anderer Gast, ein hochgewachsener Fernfahrer: »Sind Sie fertig?« Sie drehte sich um und erblickte mächtige Schultern, tätowierte Arme und einen Schnauzbart.
    »Moment noch«, erwiderte sie und sagte dann zum Wirt: »Ich möchte gerne die Rechnung des Jungen begleichen.«
    »Lady, ich weiß, dass Sie eine gute Seele sind, und das ist wirklich nett von Ihnen und so, aber auf lange Sicht helfen Sie ihm damit nicht. Ich kenne diese Sorte. Er muss seine Lektion lernen.«
    »Ich bestehe darauf«, entgegnete sie. »Sagen Sie mir einfach, wie viel es ist, und ich bezahle auf der Stelle.«
    Der Junge sprang auf und kam, den Stuhl hinter sich herschleppend, nach vorne. Er war größer, als sie gedacht hatte, vielleicht eine Handbreit größer als sie selbst. Aber er hatte etwas an sich, das ihn klein wirken ließ. Vielleicht war es daslose herabhängende T-Shirt, das ihm zwei Nummern zu groß war. »Ich werde es Ihnen zurückzahlen, Miss, ich schwör’s. Wirklich, ich tu alles ...«
    »He! Zurück mit dir und hock dich hin«, schimpfte der Wirt und schlug mit der ausgestreckten Hand nach ihm.
»Ich bring dich um.«
So, wie er es sagte, sträubten sich Marnie die Nackenhaare. Die Gäste an den Tischen verstummten. Sie verharrten mitten im Kauen, um zu sehen, was der Lärm zu bedeuten hatte.
    Der Schnauzbärtige hinter Marnie sagte: »He Scooter, wenn die Dame bereit ist zu zahlen, lass den Jungen doch laufen. Sei doch nicht so streng mit ihm.«
    Scooter?
Hatte jemals ein Name so schlecht zu seinem Träger gepasst? Marnie beobachtete die Entwicklung dieses Dramas und bemerkte gleichzeitig, dass Laverne von der Toilette zurückkam. Marnie hielt einen Zwanzigdollarschein in der Hand und hob ihn hoch. »Lassen Sie mich einfach die Rechnung begleichen, Sir.« Das ›Sir‹ setzte sie höflichkeitshalber hinzu. »Wenn Sie ihn laufen lassen, wird dieser junge Mann Sie bestimmt nie wieder belästigen.«
    »Ganz bestimmt nicht«, erklärte der Junge verzweifelt. »Ich komme nie wieder hierher.«
    »Verdammt, das will ich auch hoffen.« Der Wirt nahm Marnie den Zwanzigdollarschein aus der Hand. »Das sollte genügen.« Er steckte den Schein in die Kassenschublade und rammte sie zu. Wütend nahm er eine Schere und durchschnitt die Schnur, mit der der Junge festgebunden war. »Und jetzt mach, dass du hier wegkommst«, schrie er ihn an und der Junge stürzte sofort zur Tür hinaus. »Den wären wir los«, brummte der Wirt laut. Er musste unbedingt rauskehren, dasser der Chef war, dachte Marnie. Nachdem die Störung vorbei war, begannen die anderen Gäste wieder, sich zu unterhalten.
    Laverne trat mit verwirrter Miene zu Marnie. »Was ist passiert?«
    »Das erzähle ich dir draußen«, antwortete sie.
    »Also, das war wirklich nett von dir, für ihn zu bezahlen«, meinte Laverne im Wagen, nachdem Marnie ihr alles erklärt hatte. Sie standen immer noch auf dem Parkplatz, der Motor lief im Leerlauf. Marnie empfand es als notwendig, das Lokal in Sichtweite zu haben, fast als würde es ihre Geschichte illustrieren. »Das hätte kaum jemand

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