Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
am meisten Zustimmung in sich selbst gespürt hat.
Er hat ja auch in der Gefangenschaft ausgiebig mit anderen Kriegsgefangenen über die politische Zukunft Deutschlands gesprochen.
Über die Zukunft Deutschlands haben sie im Gefangenenlager immer wieder geredet. Auch über die Sozialdemokratie und wofür sie in ihrer langen Geschichte gestanden hat. Ein begeisterter Parteimarschierer ist Helmut jedoch nie gewesen, was sicher auch eine Reaktion auf den Fanatismus in der Nazizeit war.
Aber er war sehr sozial eingestellt.
Ein Mensch, der in der Zeit unmittelbar nach dem Naziregime nicht sozial empfunden hätte, hätte mir gestohlen bleiben können. Es hat einfach eine spürbar andere Atmosphäre geherrscht. Jemand, der nüchterner ist als ich, könnte das ziselierter ausdrücken. Ich kann nur sagen: Die Stimmung gleich nach dem Krieg, beispielsweise in Hamburg, war zwar sozial, aber sie war auch im guten Sinne konservativ. Viele der Werte, die die Nazis mit Füßen getreten hatten, mussten wiederbelebt werden.
Außerdem – wenn Sie sagen, Ihr Mann sei kein Parteimarschierer gewesen –, die Partei war ja in ihren Ritualen manchmal auch ein bisschen kleinkariert, was ihn nicht gerade für sie eingenommen haben dürfte.
Sicher nicht. Aber das ist ein weites Feld, auf dem wir uns nicht verlieren sollten.
Die Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 schien sehr spannend zu werden. Es war die erste Wahl Ihres Mannes als Kanzler, und die Vorhersagen deuteten auf ein sehr knappes Rennen hin. Können Sie sich noch erinnern, wie Sie den Wahltag verbracht haben?
Wir haben in Hamburg gewählt, so um die Mittagszeit. Unser Wahllokal war die Schule Neubergerweg, also nicht weit von uns.
Sie sind wahrscheinlich am Tag vorher nach Hamburg geflogen.
Da die Wahlen immer am Sonntag stattfinden, sind wir am Freitag oder Sonnabend nach Hamburg gefahren.
Haben Sie Ihrem Mann vor der Wahl irgendeine Nervosität anmerken können?
Nein. Am Wahltag war langes Schlafen angesagt; das Kommando lautete: »Weck mich nicht!« Das ist bei Wahlen immer so gewesen, dass er gesagt hat: »Heute ist Wahltag, da können wir endlich ausschlafen.« Dieses Schlafbedürfnis am Tag einer so wichtigen Entscheidung dürfte ein wenig über seine Gemütsverfassung aussagen, die ich schon als ziemlich gelassen bezeichnen möchte.
Die meisten Politiker gehen gern früh zur Wahl, damit sie ins Fernsehen, in die Mittagsnachrichten oder ins Radio kommen, um sich auf diese Weise den Wählern noch einmal in Erinnerung zu rufen.
Helmut hat sich in den Wahlkämpfen für den Bundestag immer sehr engagiert und auch verausgabt. Aber einen Tag vorher oder gar am Wahltag selbst war Schluss. Da war der Wahlkampf für ihn zu Ende. Beim Wählen in unserer Schule sind wir natürlich ausgiebig und von allen Seiten fotografiert worden. Wir standen immer vor einer ganzen Meute von Fotografen und Reportern. Mir hat der Trubel aber nichts mehr ausgemacht.
Wie war denn Ihre Stimmungslage an einem solchen Wahltag? Schließlich ging es dabei auch um Ihre Lebensumstände.
Das mag zwar stimmen, doch es war für mich nicht wichtig. In dieser Hinsicht habe ich mein Leben lang sehr altmodisch gedacht: Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Mit anderen Worten: Ich habe das nicht so empfunden, dass es am Wahltag um meine Lebensumstände ging, sondern es ging um seine.
Aber angenommen, die Wahl 1976 wäre verloren gegangen und er wäre nicht mehr Kanzler gewesen, das hätte doch für Sie bedeutet, dass Sie wahrscheinlich auch nicht mehr inBonn geblieben wären. Ihre Lebensumstände hätten sich durch die Wahl schon sehr verändern können.
Ich glaube nicht, dass ich mir darüber Gedanken gemacht habe. Solche Gedanken haben Helmut und mich eigentlich nur ein Mal im Leben intensiv beschäftigt, und zwar zu der Zeit, als Helmuts amerikanischer Onkel August uns einlud, für immer nach Amerika zu kommen.
Das Dasein an der Seite des Kanzlers hat Sie auch nicht so fasziniert, dass Sie es gern noch etwas fortgesetzt hätten?
Nein, das kann ich so sagen. Aber ich habe während des Wahlkampfs 1976 und in den folgenden Jahren die Stellung meines Mannes – ich will nicht sagen, schamlos, aber doch intensiv – ausgenutzt, um mit meinem Naturschutz weiterzukommen. Sie hat mir die Möglichkeit gegeben, Kontakte zu knüpfen, Geld für den Naturschutz zu sammeln und einiges im Sinne der Natur durchzusetzen.
Können Sie sich noch erinnern, ob Sie am Wahltag allein waren, oder kamen Freunde
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