Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
hätte er anders entschieden.
Richtig gefährlich erkrankte Helmut im Oktober 1981. Er litt unter Herzrhythmusstörungen, war ohnmächtig gewesen und umgefallen. Das ist ihm häufig passiert. Mal war er für ein paar Sekunden weg, mal dauerten solche Absenzen auch länger. Zwei Tage nach einer großen sogenannten Friedensdemonstration in Bonn wurde es dann richtig kritisch. Er wurde ins Krankenhaus gebracht. Als ich ihn dort besuchte und auf einen unmittelbar bevorstehenden Besuch von KP-Chef Breschnew ansprach, fragte er mich: »Wer ist Breschnew?« Ich bin erschrocken. Helmuts Kurzzeitgedächtnis war weg. Es kam jedoch bald wieder. Er bekam dann einen Herzschrittmacher eingesetzt, und danach ging es ihm besser. Er hatte elf Kilo abgenommen. Diese und andere Krankheitsfälle Helmuts zeigen, welchen Anstrengungen und welchem Verschleiß ein Mensch im Kanzleramt ausgesetzt war und ist.
Welche großen Belastungen auf einen Bundeskanzler zukommen können, zeigte sich besonders, als im Oktober 1977 palästinensische Terroristen die Lufthansamaschine »Landshut« entführten und damit die Freilassung von Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe aus dem Gefängnis erpressen wollten. Damals stand Ihr Mann vor schwerwiegenden Entscheidungen.
Gerade an dem Tag vor der Befreiungsaktion hatte er Schriftsteller zu einem Gespräch eingeladen; es war ein Sonntag. Er hoffte, von Max Frisch, Siegfried Lenz, Heinrich Böll und ein paar anderen mehr über die Motive der meist sehr jungen Terroristen erfahren zu können. Ich war ebenfalls bei der Diskussion im Kanzlerbungalow dabei sowie zwei Kabinettsmitglieder, der damalige Bundesminister für Forschungund Technologie, Hans Matthöfer, und der Arbeits- und Sozialminister Herbert Ehrenberg. Wir redeten ungefähr fünf Stunden lang miteinander, und es war ein sehr ernsthaftes, tiefgreifendes Gespräch. Letztlich mündete es in der Erkenntnis, dass wir bei der Auseinandersetzung mit den Terroristen vor einer tragischen Situation stünden, aus der es keinen Ausweg ohne schuldhaftes Verhalten geben könne. Währenddessen wurde mein Mann immer wieder zu Telefonaten oder Unterredungen aus dem Raum gerufen. Die Schriftsteller waren schon ungehalten wegen der vielen Störungen, doch irgendwann verstanden sie, dass etwas Außergewöhnliches anstand. Helmut hatte ihnen aber nicht gesagt, was los war.
Hat Ihnen Ihr Mann in den Tagen zuvor gesagt, dass er vor einer schweren Entscheidung stehe – Freilassung der Terroristen oder Befreiung der Geiseln im Flugzeug?
Er hat mir nichts erzählt. Ich habe ihm aber natürlich angemerkt, unter welchem ungeheuren Druck er stand. Außerdem tagte im Bungalow immer wieder der Krisenstab, den Regierungsmitglieder und die Führer der Opposition bildeten. Wenn jemand aus dem Raum kam, habe ich immer versucht, von dessen Gesicht abzulesen, wie die Lage war. Aber zu mehr als Vermutungen bin ich dabei nicht gekommen. Ich bin noch heute beeindruckt davon, wie eng Regierung und Opposition, die sich doch sonst so bekriegten, in jenen Tagen miteinander gearbeitet haben. Natürlich wurden auch unterschiedliche Meinungen darüber geäußert, wie man beispielsweise mit den gefangenen Terroristen in Stammheim umgehen sollte. Insgesamt jedoch dachten alle immer nur daran, welche Lösung die beste für die Bundesrepublik sei.
Wussten Sie in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober, dass die »Landshut« von der GSG 9 gestürmt werden sollte?
Das war viel zu kitzelig; von der Befreiungsaktion hat mir mein Mann nichts erzählt. Die meiste Zeit war er ohnehin in Krisensitzungen. Wenn ich ihn mal kurz sah, schwieg er eisern, obwohl seine Nerven bestimmt bis zum Zerreißen gespannt waren. Und, vielleicht noch ein Grund für Helmuts Schweigen: Wir wussten nicht, ob wir im Bungalow abgehört wurden.
Hat Ihnen Ihr Mann am Morgen danach von der erfolgreichen Befreiungsaktion erzählt?
Der war völlig erschöpft nach diesen Wochen voller Anspannung und nach dieser Nacht. Ich habe ihm die Erleichterung aber deutlich anmerken können; es war eine ungeheure Last von ihm gefallen.
Mit seiner Lage im Park, abseits des Blickfelds der Öffentlichkeit, eignete sich der Kanzlerbungalow ja besonders gut für vertrauliche Treffen wie die Mogadischu-Runde.
Helmut hat diese Möglichkeit auch häufiger genutzt für Begegnungen, über die nicht sofort oder überhaupt nicht öffentlich berichtet werden sollte. Franz Josef Strauß etwa war mehrfach im Bungalow. Mein Mann und der
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