Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
Aber sonst waren kaum Autos auf den Straßen, fast nur diese Wagen mit dem Kohl. Jahre später war das natürlich ganz anders. Da fuhren nicht nur mehr Autos auf den Straßen, auch die Menschen sahen irgendwie verändert aus. Mitte der siebziger Jahre hatten sie noch fast alle diese dunkle Einheitskleidung an.
Bei diesem Chinabesuch 1975 haben Sie Mao Tse-tung kennengelernt.
Helmut und ich wurden in einen großen Raum geführt. Mao drückte mir die Hand und murmelte etwas, das ich nicht verstand, und begrüßte Helmut. Er konnte nicht mehr richtig reden; Helmut hat sich allerdings später mit Hilfe von Maos Dolmetscherinnen sehr lange mit ihm unterhalten und bemerkt, dass sein Geist noch sehr rege war. Ich wurde nach der Begrüßung wieder hinausgeführt und bin ins Auto gestiegen, in dem die Frau des chinesischen Botschafters in Bonn saß, die mich begleitet hatte.
Die durfte nicht mit zu Mao?
Die durfte nicht mit. Sie hat mich sofort ausgefragt, wie die Begegnung mit Mao gewesen war. Vorher war sie sehr reserviert gewesen, aber nach meiner Schilderung hat sie meine Hand genommen, sie gedrückt und geküsst.
Die Innenfläche Ihrer Hand?
Sie küsste die Fläche meiner Hand, die kurz zuvor von Mao berührt worden war. Ich empfand das als bedrückend.
Für die Chinesen hatte Mao damals so etwas wie gottähnliche Züge.
Das war wohl so … Von Peking aus sind wir nach Ürümqi, der Hauptstadt des uigurischen Autonomengebiets Xinjiang der Volksrepublik China, gereist. Damals war Ürümqi noch eine – na, wie soll ich sagen – primitive Stadt mit einstöckigen, ebenerdigen Häusern. Vor jedem dritten Haus waren Lautsprecher aufgestellt. Die Menschen wurden also oft mit Propaganda berieselt. Was Helmut und mir sofort aufgefallen ist: Die Menschen sahen anders aus als die in Peking, ziemlich mongolisch.
Da fühlten Sie sich gleich zu Hause …
Halb. Helmut hat dann in einer Begrüßungsrede in einem Saal mit vielen Menschen genau das gesagt, nämlich: »Ich fühle mich hier wie zu Hause. Sie sehen alle so aus wie Verwandte meiner Frau.« Es gab jubelnden Beifall. Man rannte los und setzte mir eine Kappe auf; die Uiguren haben spezielle Kappen, und das gab dann noch mal Beifall. Bei dem Besuch ist uns auch klar geworden, dass sich der Volksstamm der Uiguren äußerlich sehr von den Chinesen unterscheidet.
Die haben inzwischen auch viele Schwierigkeiten mit Peking.
Jetzt, wo sie anfangen, sich ihrer Kultur bewusst zu werden, gibt es häufig Auseinandersetzungen mit der chinesischen Zentralregierung. Ürümqi selbst muss sich in den vergangenen Jahrzehnten ganz gewaltig verändert haben. Mein Freund Reimar Lüst, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hat vor einiger Zeit an der dortigen Universität einen Vortrag gehalten und mir anschließend von den Veränderungen in Ürümqi erzählt. Wo wir nur ebenerdige Häuser gesehen hatten, stehen inzwischen Hochhäuser, und die Stadt macht insgesamt offenbar einen ganz anderen, moderneren Eindruck.
Mitunter mussten Sie gemeinsam mit Ihrem Mann auch besonders niederdrückende Besuche absolvieren, wie 1977 den im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz.
Allein wenn man durch das Tor mit dem Spruch »Arbeit macht frei« geht, ist man erschüttert – dieser Zynismus … Wir waren auch in einer der Baracken. Wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen dort eingepfercht wurden und unter welchen Umständen sie dort vegetieren mussten, kannman nur verzweifeln. Bei unserem Aufenthalt in Auschwitz waren auch Herbert Wehner und seine Frau Greta sowie unser Freund Siegfried Lenz dabei. Außerdem befand sich in unserer Begleitung ein polnischer Journalist, der später mit mir durch Warschau gegangen ist. Er hat mir Häuserecken oder kleine Nischen gezeigt, in denen Blumen und Gestecke lagen, manchmal stand dort auch eine Kerze. Er sagte, dass diese Ecken dem Publikum meistens vorenthalten würden; sie markierten nämlich Stellen, an denen die Russen Polen umgebracht haben. Dem Journalisten lag sehr daran, mir diese Erinnerungsstellen zu zeigen.
Ihr Mann hat in Auschwitz eine vielbeachtete Rede gehalten, in der er darauf hinwies, dass Auschwitz eigentlich Schweigen gebiete, dass er als Bundeskanzler aber nicht schweigen dürfe.
Das war eine sehr würdige Rede. Helmut hat an die deutsche Verantwortung für die unfassbaren Verbrechen erinnert, aber auch daran, dass viele Deutsche ebenfalls unter dem Naziregime gelitten hätten. Siegfried Lenz hat mir dann
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