Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
sagen. Das habe ich wahrscheinlich von meinen Eltern übernommen, denen Äußerlichkeiten nicht sonderlich imponierten. Was mich an äußeren Erscheinungen beeindruckt hat und immer wieder beeindruckt, sind architektonisch schöne oder interessante Bauten. Aber ich glaube, das Architektonische ist das, was an erster Stelle steht, und nicht die Pracht. Das Interesse an Architektur teile ich ja auch mit Helmut.
Sie haben nie bei Begegnungen mit den politischen Größen dieser Welt oder bei schwierigeren protokollarischen Aufgaben Komplexe gehabt?
Ich meine, dass mein Selbstbewusstsein nicht so wahnsinnig ausgeprägt war, aber ein einigermaßen gesundes Selbstvertrauen hatte ich schon; habe ich natürlich bereits in der Schule entwickelt, weil ich als Großgewachsene immer die Mädchen verteidigen musste. Das spielt ganz sicher eine Rolle. In meiner frühen Schulzeit musste ich mich immer gegen die Jungs durchsetzen. Und Zehn- bis Zwölfjährige behaupten sich weniger mit dem Kopf als mit den Fäusten. Das ist mir, nachträglich gesehen, sehr deutlich geworden.
Aber diese andere Welt der Politik hat Sie nicht verändert, Ihnen auch keinen Schock versetzt oder Sie nervös gemacht …
Nervös hat mich das natürlich gemacht. Man wollte sich ja anständig – im Rahmen – benehmen. Man wollte sich passend benehmen und sich nicht blamieren. Das verlangte schon so viel Disziplin, dass man durchaus etwas irritiert sein konnte.
Wo Sie sich bewegt haben, vor allen Dingen bei Auslandsreisen, als Minister- oder Kanzlerfrau, das war zwar eine andere Welt – prächtiger, komfortabler –, aber letzten Endes war sie auch nur von Menschen bevölkert.
Das habe ich sehr schnell gemerkt, und deshalb hat mich diese Umgebung auch nicht allzu sehr beunruhigt. Aber, wie gesagt, konzentriert war ich trotzdem. Und zumindest in den Anfangsjahren meiner Bonner Zeit auch ein wenig nervös, das gebe ich gern zu.
Von den Wohnbezirken Ihrer Kindheit und Jugend haben Sie jedenfalls einen weiten Weg bis in die große, weite Welt zurückgelegt. Welches der Viertel, in denen Sie aufwuchsen, war prägend für Sie: die Schleusenstraße in Hamburg-Hammerbrook oder die Baustraße in Hamburg-Borgfelde?
Weder das eine noch das andere. Prägend waren für mich nicht die Wohnviertel oder die Umgebung dort, prägend für mich war die große Familie. Das war der ganze Clan.
Der wohnte da?
Meine Großeltern haben eine Wohnung mit sieben Zimmern in einem Altbau gemietet, und drei ihrer vier erwachsenen Töchter – zwei davon verheiratet – sind eingezogen. Eine Tochter hat einen Beamten geheiratet; sie haben gleich eine Wohnung bekommen. Aber drei Töchter und eine Pflegetochter wohnten zusammen mit meinen Großeltern.
Dann sind Sie auch gar nicht mit so vielen anderen Menschen, Nachbarn oder Freunden, in Berührung gekommen?
Doch, mit Freunden der Familie bin ich da schon als kleines Kind in Berührung gekommen, denn vor allem meine Großmutter und ihre drei Töchter feierten ja dauernd.
Wie würden Sie die äußere Umgebung beschreiben, in der Sie aufwuchsen?
In der Ecke von Hammerbrook, wo wir wohnten, gab es keinen Baum, keinen Strauch, ja nicht einmal einen Grashalm. Wenn wir mal etwas Grünes erleben wollten, bin ich mit meiner Großmutter an den Hafen gegangen, wo wir von weitem den Hügel über den Landungsbrücken sehen konnten. Aber irgendetwas Pflanzliches gab es in unserer Gegend nicht.
Fühlten sich die Bewohner dieses Viertels als Proletariat?
Mit den Bewohnern des Viertels hatte ich überhaupt nichts zu tun, damals war ich auch noch zu klein. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sich die Menschen dort als Proletariat verstanden, dafür waren die Häuser, in denen sie wohnten, einfach zu bürgerlich. Überlegen Sie mal, diese Riesenwohnung, in der meine Großeltern mit drei erwachsenen Töchtern nebst Ehemännern gewohnt haben, und mit den ersten Enkelkindern – die entsprach von ihren Dimensionen her durchaus bürgerlichen Maßstäben.
Aber so ein Bewusstsein, dass Sie alle einer gleichen Klasse angehören, das gab es nicht …
Ich glaube nicht, dass meine Großeltern und ihre erwachsenen Kinder so etwas empfanden, und viel Umgang mit den Nachbarn oder den Leuten in der Umgebung hatten sie ohnehin nicht – von irgendeinem Klassenbewusstsein ganzzu schweigen; die waren mit sich selbst beschäftigt und ganz zufrieden mit ihrem Leben. Klassenbewusstsein oder gar Klassenkampf stand bei ihnen nicht auf dem
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