Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
gab es nur bestimmte Besuchszeiten. Die Besucher standen schon in einer langen Schlange. Da kam jemand zu uns und fragte freundlich: »Möchten Sie die Wartburg besichtigen? Dann kommen Sie mal mit!« Wir haben also eine Extraführung bekommen. Das war ziemlich am Anfang der Reise. Eines wussten wir von da an jedenfalls: dass wir unter Beobachtung standen. Wir haben allerdings nicht gedacht, dass wir die ganze Reise über verfolgt werden würden. Aber das kann ja auch ein Vorteil sein. Jedenfalls hatten wir bald das Gefühl, dass wir bevorzugt behandelt wurden.
Wir hatten uns gut auf diese Reise vorbereitet und einiges gelesen. In Naumburg haben wir uns selbstverständlich den Dom angesehen, der als eines der berühmtesten Bauwerke des deutschen Mittelalters gilt. Die Glasmalerei, das Chorgestühl und die Holzpulte für die Messbücher – alles aus dem Mittelalter und in hervorragendem Zustand – begeisterten mich sehr.
Haben Sie öfter mit normalen Bürgern der DDR sprechen können? Die erkannten Sie doch.
Wir waren vorsichtig. Dass wir erkannt wurden, ist auch mal vorgekommen, aber eigentlich selten.
An der Kleidung müssen Sie doch zu erkennen gewesen sein, und Sie waren doch bekannt.
Unsere Kleidung hat sich nicht sonderlich abgehoben von dem, was wir dort gesehen haben. Und ich war in der DDR wahrscheinlich auch nicht so bekannt. Während wir durch diesen spätromanischen und frühgotischen Naumburger Dom schlichen, sagte ich zu Dorothea: »Schau mal, alles wird in unserem Reiseführer erwähnt, aber dieses wunderschöne Schmiedegitter nicht.« Es markierte eine Abtrennung vom Hauptschiff zum Altarraum. Noch während ich das sagte, ertönte hinter uns eine Stimme: »Sie haben ganz recht, Frau Schmidt. Das ist wirklich etwas Besonderes, und ich bin immer ganz traurig, dass es in den Reiseführern keinen Hinweis darauf gibt.« Der Herr stellte sich dann als Domdechant, also als ein Mitglied der Kirchenführung, vor und fragte, ob er uns im Dom noch ein bisschen mehr zeigen solle. Wir haben das Angebot gern angenommen. Er hat uns viel über die Entstehungsgeschichte des Doms, sein Inventar und die kircheneigene Werkstatt erzählt, die für die Restaurierung und Instandhaltung all dieser mittelalterlichen Kirchenmöbel und Fenster zuständig ist. Ganz zum Schluss sagte er: »Wollen Sie nicht noch eine Tasse Kaffee bei mir trinken?« Da haben wir dann richtigen Bohnenkaffee bei ihm getrunken, was wir nicht erwartet hatten. Es hat sich ein interessantes Gespräch entwickelt. Dass er nicht Hurra geschrien hat über seine SED-Regierung, wurde schnell klar …
Unser Gastgeber gehörte zu den Männern aus der Kirchengemeinde, die gewisse Herrschaftsfunktionen hatten. Sie konnten sagen: »Im Wald, der der Kirche gehört, dürfen in diesem Jahr drei Stämme abgeholzt werden« oder »Das Holz von vor zwei Jahren ist trocken genug, jetzt wird es für dies oder jenes benutzt«. Es war eindeutig, dass der Domdechant mit der Regierung in Ost-Berlin nicht einverstanden war. Aber er konnte das nicht so eindeutig sagen, weil er sich und seine Kirche nicht in Gefahr bringen wollte. Er balancierte also sehr sorgfältig und sehr gekonnt mit seinen Worten. Wir sind natürlich darauf eingegangen. Die Gelegenheit, in einer Privatwohnung – wo man einigermaßen sicher war, dass nicht abgehört wurde – mit einem DDR-Bürger reden zu können, wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Trotzdem waren auch wir sehr vorsichtig. Ich erinnere noch, dass wir zum Schluss unseres Gesprächs fragten, was wir denn für ihn tun könnten. Er antwortete fast flehentlich: »Zu Besuch kommen, immer wieder hierher zu Besuch kommen.«
Sie waren gemeinsam mit Dorothea Bahr auf Reisen, aber Egon Bahr und Ihr Mann waren ja politisch nicht immer besonders einig.
Das kann man so sagen. Doch das spielte in meinem Verhältnis zu Dorothea keine Rolle.
Hatten Sie auch Kontakt zu Frauen, deren Männer Konkurrenzparteien vertraten, wie beispielsweise Frau Kohl oder Frau Strauß?
Zu denen hatte ich kaum eine Verbindung. Engen Kontakt hatte ich hingegen zur Frau von Rainer Barzel, Kriemhild. Das hat sich so ergeben. In meiner Vitrine steht noch eine kleine chinesische Schale, die Rainer Barzel mir nach ihrem Tod gegeben hat. Ich bin 1977 auch bei der Beerdigung derTochter Claudia gewesen. Das war eine sehr traurige Sache. Rainer Barzel und seine Tochter hatten ein sehr herzliches Verhältnis zueinander, und sie hatte ihren Vater oft bei seinen
Weitere Kostenlose Bücher