Auf dem Schlachtfeld der Liebe
Ihre Nachtruhe gestört haben. Aber Captain McKenzie konnte es gar nicht erwarten, seinen Sohn zu sehen. Das sind Robert Gray und Ricky Boyle.«
Risa nickte Jeromes jungen Begleitern zu, die offensichtlich mit ihm aus dem Old Capitol geflohen waren. »Sind Sie ins Zelt gekommen, um mein Kind zu stehlen?« fragte sie kühl.
»Nein, Ma'am, Ihr Mann war drin. Dann hat er mir das Baby anvertraut, und ich brachte es rasch weg. Womöglich hätte es gebrüllt und die Yanks alarmiert. Das verstehen Sie sicher.«
»O ja.« Wütend funkelte sie ihn an.
»Ein hübscher Junge, Ma'am«, meinte Hawkins.
»Vielen Dank.« War Jamies Vater auch dieser Meinung? Glücklicherweise schien der Junge zu schlafen, sonst hätte er sich wahrscheinlich die Seele aus dem Leib geschrien. Mit einem Mal hörte sie einen glucksenden Laut und registrierte ärgerlich, wie wohl sich das Kind in den Armen seines Vaters fühlte.
Jerome trug Jamie zu seinem Hengst und stieg auf, ohne Risa eines Blickes zu würdigen.
»Würden Sie sich um meine Frau kümmern, Anthony?« War es ihm egal, daß sie nur ihr Nachthemd trug? Bedrückt erinnerte sie sich an die letzte gemeinsame Nacht, in der sie mehr geteilt hatten als nur Leidenschaft
- eine beglückende Wärme, der Beginn einer tieferen Verbundenheit. Ich liebe ihn, dachte sie und fühlte sich elend.
Jetzt schaute er sie an, und sein stahlharter Blick verriet, wie gern er sie zu allen Teufeln gewünscht hätte. Entschlossen bezwang sie ihre Verzweiflung und hob das Kinn. Nein, sie würde sich nicht erniedrigen und um Gnade bitten. »Du solltest mir Jamie geben«, sagte sie in ruhigem Ton.
»O nein.« Mit einer Hand hielt er seinen Sohn fest, mit der anderen die Zügel. »Du hattest ihn lange genug. Und ich lerne ihn erst gerade kennen. Falls du uns begleiten möchtest - Anthony wird für dich sorgen.«
»Und wenn ich euch nicht begleiten will?«
Desinteressiert zuckte er die Achseln. »Morgen kommt sicher eine Yankee-Patrouille in diesen Wald.«
Könnte sie doch gegen sein Schienbein treten ... Aber Jamie lag in seinem Arm. Sie ging zu Anthony Hawkins. »Was für ein hübscher Hengst, Sir! Haben Sie die Pferde aus dem Old Capitol mitgenommen?«
»Nein, Ma'am.«
»Und wem wurden sie gestohlen?«
»Einer Yankee-Patrouille, auf dieser Seite des Flusses.«
»Ah.«
»Moment mal - genaugenommen haben wir sie nicht gestohlen«, protestierte Ricky Boyle mit einem weichen, kaum merklichen irischen Akzent. »Das ist Virginia, das Gebiet unserer Feinde. Also haben wir die Pferde konfisziert.«
»Und früher wurden sie von den Yankees konfisziert«, ergänzte Hawkins trocken. »An ihren Flanken haben wir Brandzeichen von einer Pferdefarm in Mississippi entdeckt.«
»Eigentlich müßten wir den Yanks danken, weil sie die Tiere so gut gefüttert haben«, meinte Robert Gray grinsend.
Da begann Jamie zu schreien - endlich, der kleine Verräter ... Risa lief zu dem Rappen und legte eine Hand auf den Schenkel ihres Mannes. »Jerome, er braucht mich.«
Fluchend legte er das Baby in ihren Arm. Wenigstens ein kleiner Sieg, den sie nur sekundenlang genießen durfte ... Jerome umschlang ihre Taille und zog sie nach oben, in seinen Sattel. An ihren Rücken gepreßt, schien seine Brust zu brennen. Sein Herz blieb jedoch kalt.
24
Die restliche Nacht verbrachten sie in einem verlassenen Plantagenhaus, das die Späher der Unions- und der Konföderationstruppen offenbar noch nicht entdeckt hatten. Die einstigen Bewohner mußten Hals über Kopf aus ihrem schönen, altehrwürdigen Heim geflohen sein. Auf dem Kirschbaumholztisch im Eßzimmer stand eine halbvolle Teetasse. Schränke und Truhen waren mit Kleidern gefüllt, die Regale der Speisekammer mit Konserven, und im Räucherschuppen hingen Fleischstücke.
Anscheinend hatten die Herrschaften und die Sklaven das Weite gesucht, ohne irgend etwas mitzunehmen. Nur Ratten und Spinnen waren zurückgeblieben.
In mühsamer Arbeit machte Risa ein Schlafzimmer sauber. Zum Glück fand sie frische Bettwäsche im Schrank. Als sie das Kaminsims abstaubte, entdeckte sie einen Brief, der das Geheimnis des Hauses enthüllte. In knappen Worten wurde einer Everett Dolenz mitgeteilt, ihr Mann und ihr Sohn seien auf dem Schlachtfeld bei Sharpsburg, Maryland, gefallen. Vielleicht war die verzweifelte Witwe einfach fortgegangen, nachdem sie diese Nachricht bekommen hatte - in der Überzeugung, es wäre sinnlos, das Heim zu erhalten. Auf dem Sims standen Familienfotos, die einen
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