Auf dem Schlachtfeld der Liebe
der Captain vor Anker gegangen. In der Ferne sah sie den Hafen einer Insel und mehrere Schiffe. Sie nahm ein Fernglas vom Schreibtisch und inspizierte ihre Umgebung.
Da die Sonne hoch am Himmel stand, mußten schon einige Boote von der Lady Varina in den Hafen gefahren sein - vermutlich nicht unter deren Flagge, denn sie sah auch an den Masten der anderen Schiffe keine Fahnen flattern. Hier schien man seine Identität nicht zu verraten, und die Geschäfte wurden im geheimen abgewickelt.
Plötzlich schlug ihr Herz schneller. An Deck eines Schiffs, keine halbe Meile entfernt, sah sie Männer in Nordstaaten-Uniformen! Sie legte das Fernglas auf den Tisch zurück. Nun mußte sie möglichst schnell die Initiative ergreifen. Vielleicht war das ihre einzige Chance. Wenn sie nicht bewacht wurde ...
Die Tür der Kabine ließ sich öffnen. Vorsichtig schlich Risa hinaus. Ein paar Besatzungsmitglieder patrouillierten an Deck, mit ihren Gewehren bewaffnet. Aber sie wirkten unbeschwert. Der grauhaarige Mann, der Jeromes Befehle entgegennahm, nickte ihr zu.
»Guten Morgen!« rief sie freundlich, und er lächelte sie an. Dann sah sie den Kammersteward auf einem Faß sitzen und ein Gewehr polieren.
»Hallo, Jeremiah!«
»Guten Morgen, Miss Magee.«
»Was für ein schöner Tag! Darf ich an Deck Spazierengehen?«
Jeremiah schaute den älteren Mann an, der die Achseln zuckte. Offenbar vermutete man, sie würde an Bord keinen Ärger machen, und die Besatzung hatte wohl keine ausdrückliche Order erhalten, was die Gefangene betraf. Die Bemerkung des Captains, sie würde gern im Meer baden, schien die Männer nicht sonderlich zu beeindrucken.
»Ja, natürlich, Ma'am«, antwortete der Junge, und sein unschuldiges Grinsen plagte ihr Gewissen.
»Danke, Jeremiah.« Langsam wanderte sie über das Deck. Das Unionsschiff lag achtern. Als sie in diese Richtung schlenderte, merkte sie, wie die wenigen Besatzungsmitglieder, die an Bord geblieben waren, ihre Arbeit unterbrachen und sie beobachteten. Sie lächelte ihnen zu, und sie nickten. Auf dem Achterdeck lehnte sie sich an die Reling und erweckte den Anschein, sie würde die frische Brise genießen. Nach einer Weile befaßten sich die Männer wieder mit ihren diversen Pflichten.
Sie wartete. Während sie den gedämpften Stimmen lauschte, schaute sie in die Wellen. Der Schoner war nicht groß, aber die Wasserfläche schien tief unten zu liegen. Wenn Risa über die Reling sprang und untertauchte, durfte man kein Plätschern hören. Sie schätzte die Entfernung zum Unionsschiff und das Gewicht ihrer Kleidung ab. An diesem Tag trug sie keine Unterröcke, und sie konnte sehr gut schwimmen. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt. Für einen Militär gehörte diese Fähigkeit zur Überlebenskunst.
Unauffällig spähte sie über ihre Schulter. Auf dem Ach-
terdeck saßen nur zwei Männer, die Segel flickten, die Köpfe über ihrer Arbeit gesenkt. Blitzschnell schwang sie sich über die Reling und sprang in kerzengerader Haltung hinab, um möglichst wenig Wasser aufzuwirbeln.
Das Meer war angenehm kühl, und Risa versank etwa fünf Meter in der Tiefe. Dann begann sie hastig zu schwimmen. Ehe sie auftauchte, wollte sie sich um ein gutes Stück vom Schiff entfernen.
Schließlich streckte sie den Kopf aus dem Wasser und füllte ihre Lungen mit köstlicher Luft. Nun erschien ihr die Strecke bis zu ihrem Ziel viel weiter als zuvor, und die Kleidung hing bleischwer an ihrem Körper, obwohl sie auf Unterröcke verzichtet hatte. Sie mußte sich beeilen.
In der Nähe des Unionsschiffs ließen ihre Kräfte nach. Um sich auszuruhen, hielt sie inne und trat Wasser. Sie holte tief Atem, wollte schreien und die Aufmerksamkeit der Besatzung auf dem Unionsschiff erregen. Aber bevor sie den Mund öffnen konnte, wurden ihre Fußknöchel gepackt. Irgend etwas riß sie nach unten. Brennend drang das Salzwasser in ihre Kehle. Dann wurde sie wieder emporgezerrt.
Hustend und würgend rang sie nach Luft. Welches Ungeheuer hätte sie beinahe getötet? Sie versuchte die Arme abzuschütteln, die sie festhielten, drehte sich um und starrte ins Gesicht ihres Peinigers, des elenden Rebellen. »Lassen Sie mich sofort los! Ich schreie...«
»Dann wären Sie eine Närrin«, erwiderte Jerome gleichmütig. In seinen Augen spiegelte sich der Widerschein des Sonnenlichts auf den Wellen.
»Das ist ein Unionsschiff ...«
»Ein Nest voller Deserteure, Miss Magee.«
»O nein, das glaube ich Ihnen nicht - ich schreie ...«
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