Auf dem Weg nach Santiago
ihrem Gepäck
einen Silberbecher und schreit hernach im Gasthof herum, er sei bestohlen
worden. Das Gericht befaßt sich mit der Sache. Damit sein Vater frei bleibe,
bietet sich der Sohn für die Strafe an. Er wird gehängt. Als der Vater
sechsunddreißig Tage später aus Santiago zurückkommt, geht er zum Galgen, um
seinen gehängten Sohn zu sehen. Doch er lebt immer noch und sagt zu ihm: »Der
selige Jakobus stützt mich mit seinen Händen .« Man
macht den Sohn los und hängt den Wirt an seiner Stelle.
Von Nompart de Caumont (1417) über
Laffi (1670) bis zu Manier (1726) reichert sich die Legende weiter an:
Verurteilung des Richters, Brauch, den Hahn und die Henne in der Kirche zu
füttern (mindestens noch Ende der siebziger Jahre waren in einer Nische der
Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada, dem Grab des Heiligen gegenüber,
nach wie vor ein Hahn und eine Henne zu sehen, beide mit weißem Gefieder und
durchaus lebendig!), und der andere Brauch, als Erinnerung eine Feder an den
Hut zu stecken. Unverändert aber bleibt, daß sich die Sache in einem Wirtshaus
zugetragen hat. Sosehr man nämlich auf die göttliche Gerechtigkeit vertrauen
kann, sosehr muß man den Wirten mißtrauen — diesen Leuten, für die ein Pilger
Gottes nur ein Kunde ist wie jeder andere.
Während der ersten Zeit der Wallfahrt,
also vom 11. bis zum 14. Jahrhundert — das ist auch die Zeit des größten
Zulaufs und des glühendsten Eifers — , wird man vor allem in den Klöstern und
den Hospitälern untergebracht; diese letzteren waren zum doppelten Zweck
gegründet worden, die Pilger aufzunehmen und den Armen ein Obdach zu bieten,
und zwar kostenlos, »aus Nächstenliebe«. Im 14. Jahrhundert werden die von den
Bruderschaften gestifteten Häuser in besonderer Weise den Santiagopilgern
vorbehalten; die kleineren unter diesen Pilgerhäusern verschwinden im 17.
Jahrhundert allmählich als erste, zusammen mit den Armen- und Krankenhäusern
von geringerer Bedeutung, eben zu der Zeit, da der Pilgerstrom zu versiegen
beginnt; andere, ältere Häuser der Hospitaliter dagegen überdauern diese Epoche
und wenden sich oft ihrer anderen Aufgabe zu: der Pflege armer Kranker.
Dieses 14. Jahrhundert ist der
Wendepunkt in der Pilgerbewegung. Das Ende dieser Epoche unserer Geschichte,
die Marc Bloch »das Mannesalter des Feudalismus« nennt, ist gekennzeichnet
durch wirtschaftliche Revolution und starke Bevölkerungsvermehrung, die
namentlich die Besiedelung des iberischen Hochlands ermöglichte. Abendland und
Christenheit bestärken sich damals gegenseitig. Die Ausbreitungsbewegung wird
seit dem 11 .Jahrhundert fühlbar und zeigt sich dann bis ungefähr 1350 auf
allen Gebieten menschlicher Tätigkeit: Urbarmachung, große Baustellen, Gründung
neuer Städte usw. Das Geld fließt reichlicher. An den Straßen entstehen immer
mehr Gasthäuser; sie spielen in der Pilgerbewegung eine zweifelhafte Rolle.
Zwar sind sie privilegierte Aufnahmestellen, das sehnlichst erwartete Tagesziel
des erschöpften Wanderers; aber sie sind auch ein profaner Ort par excellence,
an dem es nicht an Versuchungen fehlt und wo vor allem nichts aus Nächstenliebe
getan wird — dies um so weniger, als die Wirte stets unter dem Verdacht stehen,
die Kundschaft zu betrügen.
In Toulouse wie in Oviedo finden wir
1305 eine »Rue des Auber ges« (Straße der Gasthäuser). In Poitiers heißt ein Wirtshaus »Les trois bourdons«
(Zu den drei Pilgerstäben), ein anderes »Le jeu des bourdons« (Zum
Pilgerstabspiel). In Nivelle nennt sich 1491 ein Gasthaus »Lamaison de Gallice«
(Zum Haus von Galicien); im Jahre 1660 steht gegenüber dem Hospiz zum kleinen
Sankt Jakob ein Wirtshaus mit dem Namen »L’hostel de Galyce« (Gasthaus von
Galicien). 5 In der Nähe von Tülle lag zwischen dem Oberlauf der
Correze und der unteren Auvergne an einem Ort namens La Bitarelle, dort, wo
sich der Pilgerbrunnen befindet, der Gasthof »A Saint-Jacques le Grand, patron
militaire de l’Espagne« (Zum heiligen Jakobus dem Großen, Spaniens
Militärpatron). 6 Die Itinéraires de Bruges erwähnen im 15.
Jahrhundert das Wirtshaus »Zum weißen Roß« (Du Cheval Blancq) in Valcarlos,
einem Etappenort in den Pyrenäen.
Jean de Tournai ist der beste Kunde in
den Wirtshäusern. Er hat Geld und geizt nicht damit. Es kommt ihm nicht auf
»einen Dukaten mehr oder weniger« an, und er denkt nicht daran, »die
Reisekosten« einzuschränken. Als Sire Guillaume sich eines Tages zu dem
Vorschlag versteigt, aus
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