Auf dem Weg zu Jakob
enorm gute Bausubstanz der Wohnhäuser. Hier stehen neue und grundsolide Gebäude, die denen in einer wohlhabenden deutschen Vorstadt in nichts nachstehen.
Palas del Reí . Auch dieser Ort lag einst an der Römerstraße von Astorga nach Lugo und wurde von den Römern befestigt. Ansonsten ist über den Ort wenig zu sagen, außer vielleicht, dass im Mittelalter die auf durchreisende Pilger spezialisierte Prostitution florierte. Heute wirkt hier alles etwas schäbig. Nichts ist richtig schön, nichts ist besonders, die einzige Sehenswürdigkeit ist vielleicht die Pfarrkirche San Tirso (9. Jh.), aber auch die hat man schnell gesehen.
Direkt im Ortzentrum frage ich in einer Bar, in der „Habitaciones“ (Zimmer) angeboten werden, ob etwas frei ist. Die Auswahl ist nicht mehr besonders groß. Zwei Zimmer gibt es noch. Eines hat drei Betten und Fenster nach draußen, das andere mit nur einem größeren Bett ist fensterlos und entlüftet durch einen Schacht. Beide Zimmer sind deprimierend, dafür aber spottbillig. Ich entscheide mich für das luftigere Dreibettzimmer, das minimal teurer ist, aber der Wirt will es mir nicht geben. Noch seien nicht alle Pilger durch. Da kommt bestimmt noch eine Gruppe, ein paar Freunde, und die bräuchten dann das Dreierzimmer. Vielleicht hat der gute Mann ja recht. Ich will hier sowieso nur schlafen.
Nach einem kurzen Spaziergang durch den glutheißen Ort lasse ich mich wie viele andere Pilger auf dem großen Platz gegenüber nieder. In dessen Mitte üben eine junge New Yorkerin und ein junger Brasilianer mit Latinocharme Flamencotanz in der brütenden Sonne. Die beiden tanzen immer noch, als ich schon längst mit dem Rest der amerikanischen Wandergruppe im Café sitze und erfahre, wer noch alles aus der Gruppe hinter dem hübschen Brasilianer her ist. Die Leute entpuppen sich übrigens als zu der Wandergruppe gehörig, die in der Herberge in Puente la Reina von den Franzosen zur nächtlichen Ruhe ermahnt wurde. Sie sind bis Burgos gelaufen und haben dann den Bus durch die Meseta genommen und laufen jetzt wieder bis Santiago. Es sind alles Studenten der verschiedensten Fachrichtungen, und der Trip nach Santiago ist ein Sonderprojekt, für das es sogar noch einen Schein gibt, wenn das entsprechende Thesenpapier eingereicht wird.
Die Gruppe hat in den letzten Tagen wohl ein bisschen viel von sich selbst gesehen, und heute wollen nicht unbedingt schon wieder alle gemeinsam essen gehen. Und so ergibt es sich, dass ich mit Catherine, einer angehenden Gentechnikerin, in einem kleinen Restaurant in einer Seitenstraße lande. Es ist zwar schon fast „a las nueve“, also 21:00 Uhr, aber das Restaurant ist noch längst nicht soweit. Also setzen wir uns in die Bar-Sektion und trinken ein Glas kräftigen Landwein.
Mit an unserem Tisch sitzen zwei Brasilianerinnen, diesmal Endfünfziger. Auch sie laufen die Strecke wegen Paulo Coelho. Wir diskutieren sein Werk. Ich finde, dass das wohl das obskurste Buch zum Thema Jakobsweg ist, das ich je gelesen habe. Man tut sich schon genug an, wenn man zu Fuß oder per Rad auf die Piste geht, da muss man sich nicht noch seltsame Prüfungen auferlegen. Dafür werde ich wohl auch nicht am Ende der Strecke zur Erleuchtung gelangen.
Damit aber keine Missverständnisse aufkommen: die beiden Brasilianerinnen, wie auch alle zuvor getroffenen Brasilianer, erwandern oder erradeln den Camino ohne irgendwelchen Hokuspokus. Die beiden hier sind sogar der Auffassung, dass Coelho nur Fiktion geschrieben hat und niemals wirklich den Camino gewandert ist, eine Meinung, die ich später auch von einer Gruppe britischer Hochschuldozenten vertreten höre.
Zauberhafter Camino
Wie nicht anders erwartet ist die Nacht etwas stickig, denn so toll ist das nicht mit der Belüftung durch den Schacht. Ich krame meine Sachen zusammen und bestelle mir unten in der Bar ein kleines Frühstück, bevor ich mich auf Radtour begebe. Zumindest bis Mittag will ich etwas mit dem Rad unternehmen, denn danach wird es wieder so unerträglich heiß werden, dass an Radfahren nicht mehr zu denken sein wird. Nur mit Tagesgepäck und reichlich Wasser fahre ich los, folge zunächst der Camino-Markierung, holpere durch ein paar Wohnstraßen und fahre dann ein Stück auf der Straße. Nach ungefähr zwei Kilometern biege ich von der recht gut befahrenen N-547 ab Richtung Castello de Pambre. Es riecht nach Holzfeuer.
Waren die Felder in der Meseta unüberschaubar groß, sind sie hier
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