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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
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Sie.«
    Horace zwinkerte überrascht. Dies war das größte Kompliment, das ihm der Ire machen konnte. Wahre Freundschaft überwand Staatsgrenzen und politische Differenzen. »Ich danke Ihnen, Michael Duffy.« Horace war bemüht, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. »Trotzdem sollten wir uns trennen, solange wir noch nüchtern sind. Sonst könnte es peinlich werden.«
    Michael grinste den gebrechlichen, kleinen Engländer an. »Da haben Sie vollkommen Recht, Horrie«, sagte er spitzbübisch. »Ich schätze, dass Sie mich nicht zufällig in diesen gottverlassenen Teil der Stadt eingeladen haben.«
    »Stimmt«, meinte Horace, während sich beide erhoben. »Ich gehe davon aus, dass unser Wirt die Orte kennt, an denen ich die Frucht des Mohns erwerben kann. Ich sehne mich nach den süßen Träumen der Lebenden.« Auf seinen Stock gestützt, reichte er Michael seine schmale Hand, auf der die Adern deutlich sichtbar waren. Dieser ergriff sie fest und sanft zugleich.
    »Wissen Sie, alter Junge«, sagte Horace in aller Ruhe, »wenn Sie mich je wieder ›Horrie‹ nennen, ziehe ich Ihnen eins mit meinem Stock über.«
    Michael lachte, und sein gesundes Auge funkelte. »Wenn Sie solche Drohungen ausstoßen können, sind Sie noch lange nicht tot, Horace. Zufällig weiß ich, dass in Ihrem Stock eine Klinge verborgen ist.«
    Horace lächelte. »Da haben Sie verdammt Recht, mein Junge. Noch bin ich nicht tot.«
     
    Horace beobachtete, wie Michael das überfüllte Lokal verließ und auf die dunkle Straße in den strömenden Regen hinaustrat. Er klappte den Kragen seiner Jacke hoch und zog die breiten Schultern ein, um sich vor den Wassermassen zu schützen. Schon wollte sich Horace dem chinesischen Wirt des Speisehauses zuwenden, da bemerkte er in den Schatten auf der anderen Straßenseite eine flüchtige Bewegung. Aus der Regenwand tauchten plötzlich drei Männer auf und umringten Michael. Bevor er den Colt aus der Tasche ziehen konnte, hatten sie ihn an den Armen gepackt.
     
    Verzweifelt drängte sich Horace an dem lächelnden Wirt vorbei, doch es war zu spät. Die Männer zerrten Michael in eine wartende Kutsche, die von zwei Rotschimmeln gezogen wurde. Hilflos musste er zusehen, wie der Kutscher die Peitsche knallen ließ und sich die Pferde in Bewegung setzten. Während die Kutsche durch die schmale, kaum beleuchtete Straße ratterte, wurde Horace instinktiv klar, wer die Männer waren und wohin sie Michael brachten. Die Angst packte ihn. Wie würden Michaels letzte Augenblicke aussehen? Es war unausweichlich, dass sie ihn erst folterten und dann töteten. Am schlimmsten war jedoch, dass er kaum etwas zur Rettung des Iren unternehmen konnte. Alle Chancen standen gegen ihn.

35
    Der Laderaum des Schiffes stank nach Öl, und die drei Männer, die Michael bewachten und seine Hände an einen Träger über seinem Kopf gefesselt hatten, waren ebenso bis auf die Haut durchnässt wie er selbst. Im schwachen Licht der Kerosinlampe wirkten seine Entführer noch bedrohlicher. Der flackernde Lichtkegel verzerrte die Schatten an den rostigen Wänden des Laderaums, sodass die Deutschen übernatürlich groß wirkten.
    Die Besatzungsmitglieder, die Michael bewachten, waren keine einfachen Seeleute, sondern Elite-Marinesoldaten der Armee des Kaisers – eisenharte Männer, die mit der Marine segelten und an Land als Soldaten kämpften. Michael nahm an, dass ihr direkter Vorgesetzter ein Unteroffizier war, dessen Dienstgrad in etwa dem eines britischen Sergeant entsprach.
    In Michaels Gegenwart wurde nur wenig gesprochen, weil seine Entführer wussten, dass er ihre Sprache beherrschte. Trotzdem hatte er kaum Hoffnung, das Schiff lebend zu verlassen. Penelopes Warnung hatte sich als nur allzu berechtigt erwiesen: Zweifellos steckte ihr Ehemann hinter der Entführung.
    Michaels Arme schmerzten, und er fand nur Erleichterung, wenn er wie ein Balletttänzer auf den Zehenspitzen stand. »Sie haben nicht zufällig eine Zigarette, Gunter?«, fragte er auf Deutsch, wobei er vor Schmerz aufstöhnte. »Ohne Zigarette kann so was tödlich sein.«
    Der bullige Deutsche war der älteste der drei Marinesoldaten. Michael wusste, dass er mit der französischen Fremdenlegion in Mexiko gewesen war. Da sich auch Michael nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in Mexiko als Söldner verdingt hatte, hatten sie einen Gesprächsstoff gefunden.
    Gunter zündete eine Zigarette an und steckte sie Michael zwischen die Lippen. Die Befehle seines vorgesetzten

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