Auf Den Schwingen Des Boesen
ausnutze.«
Ich sah ihm in die Augen und hielt Ausschau nach einem Strahlen, nach irgendeinem Hinweis auf einen Rest von Leidenschaft. »Willst du mich denn nicht?«
Seufzend senkte er den Kopf und küsste meine Schulter. Dann streiften seine Lippen meine Wange, und der Griff seiner Hände festigte sich. »Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich begehre«, flüsterte er.
Ich presste mich an seinen warmen Körper. »Dann nimm mich doch.«
»Ellie …«
»Liebst du mich nicht?«
Er bedeckte die zarte Haut meiner Handgelenke mit sanften Küssen, und etwas in meiner Brust drohte zu zerspringen. »Ich liebe dich. Mehr als alles andere auf der Welt. Und das ist der Grund, warum ich jetzt gehe.«
Er gab mir einen Kuss auf die Wange und ließ meine Handgelenke los, worauf ich ihn zornig wegstieß. Er blinzelte überrascht und schien verwirrt. Auf unsicheren Beinen wich ich vor ihm zurück und wäre fast gestürzt, wenn ich mich nicht im letzten Moment gefangen hätte.
»Stimmt irgendwas nicht mit mir?«, platzte ich heraus und fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Es ist nicht nur heute Nacht, dass du mich nicht küssen oder anfassen willst. Es ist nicht nur, weil ich betrunken bin. Warum bist du nur so?«
Müde schüttelte er den Kopf. »Es liegt nicht an dir. Ich muss gehen.«
»Geh nicht«, bettelte ich und griff nach seinen Armen. »Bleib bei mir, Will. Bitte bleib. Wir müssen nichts machen. Ich will nur, dass du hier bei mir bleibst.«
Er kniff die Augen zu und atmete ruckartig ein. Seine Kiefermuskeln bebten. »Ich kann dir deinen Wunsch jetzt nicht erfüllen. Morgen früh wirst du mir dankbar sein.« Er senkte den Kopf und küsste meine Lippen so scheu wie bei unserem allerersten Kuss vor so langer Zeit.
Dann löste er sich von mir und verließ das Zimmer. Nach einem kurzen Moment verzweifelter Einsamkeit schlüpfte ich in Laurens Pyjama. Als ich ins Bett kroch und mir die Decke über den Kopf zog, war Wills Geruch allgegenwärtig. Ich stellte mir vor, wie er hier an einem ruhigen Nachmittag ein Buch las oder Gitarre spielte. Schließlich stellte sich heraus, dass es viel einfacher war, in seinem Bett einzuschlafen, als ich gedacht hatte.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit hämmernden Kopfschmerzen. Die Sonne schien durchs Fenster und verlieh den mokkafarben gestrichenen Wänden einen goldenen Schimmer. Das Zimmer war sparsam eingerichtet und sehr sauber. Die Möblierung bestand im Wesentlichen aus einem großen Bücherregal und einem schwarzen Ledersessel. An der Wand gegenüber vom Bett sah ich drei Gitarren in ihren Ständern stehen. Ich erkannte sie alle drei. Der Raum roch noch immer nach ihm und beschwor die Erinnerungen und die Beschämung der vergangenen Nacht herauf, als Will mich hergebracht hatte. Das Shirt, das ich ihm vom Leib gerissen hatte, lag noch als mahnendes Andenken auf dem Fußboden. Mir war übel, allerdings nicht, weil ich verkatert war, sondern weil ich mich voller Scham und Wut an mein gestriges Benehmen erinnerte. Ich gehörte eigentlich nicht zu den Mädchen, die sich Jungs an den Hals warfen. Ich hatte in der vergangenen Nacht jede Menge Fehler gemacht.
Zögernd schlüpfte ich unter der Decke hervor, strich über die weiche Matratze und das kuschelige Kopfkissen. In seinem Bett zu sein fühlte sich überwältigend intim an, und neben dem Partymief von gestern nahm ich noch seinen Geruch auf meiner Haut wahr. Ich schloss die Augen und sog seinen Duft ein, bevor ich mich aus dem Bett quälte. Langsam schlenderte ich durch sein Zimmer, berührte alle möglichen Gegenstände, schaute mir die kleinen Dinge auf seiner Kommode an. Darunter war ein Zweig mit getrockneten Blüten, die wie Jasmin aussahen. Ich liebte den Duft, besonders wenn er mit Vanille vermischt war. Vorsichtig legte ich den Zweig zurück und hob einen hübschen Kamm auf, der daneben gelegen hatte. Das zierliche Stück schien mindestens hundert Jahre alt zu sein und war aus glänzendem schwarzem Material gearbeitet. Der Griff war mit einem Vogel verziert, der violett- und goldfarben schillerte und von rosenroten Symbolen umrahmt wurde, die aussahen wie Blütenblätter … oder wie Flammen.
Ich legte den Kamm zurück auf die Kommode und überlegte, was ich tun sollte. Da ich das wundervolle Gefühl, Wills Geruch am ganzen Körper bei mir zu tragen, nicht verlieren wollte, beschloss ich, mir nur das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Meine Wimperntusche war verschmiert, und mein Haar hing mir
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