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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Wahrscheinlich würde sie ihm um den Hals fallen und ihn küssen, bis er die Besinnung verlor, weil sie sich ausrechnete, daß sie nie wieder Gelegenheit dazu haben würde. Vielleicht würde sie ihn anbetteln, ihr einen Termin bei seinem Agenten zu verschaffen, oder ihn so lange bearbeiten, bis er ihr eine Nebenrolle in einem seiner Filme versprach. Was solche Dinge anging, hatte ich Alex erklärt, kannte Ophelia kein Schamgefühl.
    Aber Ophelia stand vollkommen ruhig da und begrüßte mich nicht einmal. Sie fixierte Alex, aber nicht mit der Verehrung, mit der ich gerechnet hatte, sondern als würde sie ihn taxieren. Mein Gesicht begann vor Stolz zu glühen - endlich fragte einmal jemand, ob Alex eigentlich gut genug für mich war.
    Ich löste mich von Alex, lief zu Ophelia und drückte sie an mich. »Ich freu’ mich so, daß du da bist«, sagte ich und packte ihre Hände.
    Ophelia starrte immer noch wie betäubt auf Alex. Ich lächelte – eines Tages, wenn sie Alex als meinen Mann und nicht nur als prominenten Filmstar kennen würde, würden wir uns diesen Augenblick ins Gedächtnis rufen und darüber lachen.
    Als sie jedoch immer länger so stehenblieb, ohne ein Wort zu sagen, merkte ich, daß zwischen Alex und Ophelia eine Spannung herrschte, die die Luft um mich herum auflud, bis ich Angst bekam, mich zu bewegen. In den zehn Jahren, die ich Ophelia kannte, hatte ich sie noch nie so erlebt. Ich versuchte, die Frau wiederzuerkennen, die ihren Teilzeitjob in einem Büro verloren hatte, weil sie mit einem Kollegen gewettet hatte, daß sie sich die Bluse ausziehen und ihren Busen kopieren würde; die Frau, die sich vor einem Casting mit Ketchup einen Bikini auf den Leib gemalt hatte, in der Hoffnung, daß der Regisseur ihr vor lauter Schreck eine Rolle in seinem Werbefilm geben würde. Die Ophelia, mit der ich zusammengelebt hatte, schien das Wort »ausgeglichen« nicht zu kennen und hatte sich noch nie einschüchtern lassen.
    Ophelias Blick wanderte über meinen Hals, und ich begriff, weshalb sie nichts sagte. Unter dem sorgfältig aufgetragenen Make-up hatte sie gesehen, was all den Reportern entgangen war - die verblassenden, fahlen Fingerabdrücke, die immer noch meine Kehle umschlossen. Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen, zog ich Alex an meine Seite. »Das ist Alex Rivers«, sagte ich leise. »Alex, Ophelia Fox, meine Mitbewohnerin.«
    Alex richtete sein Lächeln mit voller Kraft auf Ophelia. »Ehemalige Mitbewohnerin«, stellte er klar und hielt ihr die Hand hin.
    Kühl legte Ophelia ihre hinein, dann wandte sie sich mir zu und flüsterte leise: »Nicht, solange ich da noch ein Wort mitzureden habe.«
    Die blauen Flecke erwähnte sie nicht. Das brauchte sie nicht. Denn sie hatte schon Zweifel gehegt, bevor unser Flugzeug gelandet war, und sie hatte sich ihre Argumente sorgfältig zurechtgelegt. Ihre Beweisführung war einfach: Ophelia glaubte, daß Alex mich bald furchtbar fallenlassen wolle - warum hätte er sonst darauf bestehen sollen, mich so überstürzt und mitten im Nichts zu heiraten, statt eine riesige Hollywood-Hochzeit zu veranstalten, an die sich die Welt noch Jahre später erinnern würde?
    »Und«, zischte sie, als wir Alex und John am Gepäckband allein ließen, »ich habe diesen Kuß gesehen. Er hat dich aus dem Rampenlicht gedrängt, Cassie. Jeder weiß doch, daß die Frau in die Kameras schaut.«
    Jetzt mußte ich lachen. Von allen Leuten, die uns zugesehen hatten, war das wahrscheinlich einzig und allein Ophelia aufgefallen. »Was ist mit all den Stars, die nach Las Vegas abhauen?« wandte ich ein. »Mein Gott, du hast selbst gesehen, wie viele Reporter um drei Uhr morgens hier aufgekreuzt sind, nur weil sie wissen wollten, wie ich aussehe - glaubst du, wir hätten hier in aller Stille heiraten können?«
    Ophelia stach mit dem Finger gegen meine Brust. »Genau das meine ich ja«, sagte sie und überließ es mir, ihre unkonventionelle Logik zu entschlüsseln. Ungeduldig verdrehte sie die Augen. »Ihr hättet nicht in aller Stille heiraten dürfen«, sagte sie. »Es hätte einen riesigen Medienrummel geben müssen. Jede Frau in diesem Land will wissen, wen Alex Rivers geheiratet hat. Warum also feiert er mitten in der Wildnis Hochzeit und versucht dann, in tiefster Nacht nach Hause zu schleichen, so als wolle er vermeiden, daß dich jemand zu Gesicht kriegt?«
    »Vielleicht, weil er mich liebt?« entgegnete ich. »Das letzte, was ich gewollt hätte, wäre eine Riesenhochzeit auf

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