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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wirst du mir einfach glauben müssen. Und was den Rest anbelangt – weißt du, in mir stecken genau wie in jedem anderen eine Menge verschiedener Menschen.« Er drehte sich zu mir um und zog mich hoch. »Manche davon sind netter als andere, fürchte ich.«
    Ich sah an meinem wunderschönen Hochzeitskleid hinunter, jenem Kleid, das Alex mir vom anderen Ende der Welt hatte kommen lassen. Der Spitzensaum hing an einer Seite herunter, und vom Oberteil hatte sich ein Perlenstrang gelöst, der jetzt über dem Rock baumelte. Über den Rücken zogen sich rote Dreckfahrer, die sich wie Blut vom weißen Satin abzeichneten. Ich sah Alex vor mir, wie er unter dem milchigen Auge der Kamera in seine Rolle schlüpfte; wie er mit rundbäuchigen Kindern im Dreck hinter der Lodge Hockey spielte; wie er sich in der Nacht an mich lehnte und mich mit seiner nackten Angst brandmarkte. »Wer bist du?« fragte ich.
    Er schenkte mir ein Lächeln, das durch meine Schutzmauern schlüpfte, ein Amulett, das ich den ganzen Tag bei mir tragen würde. »Ich bin der Mann«, sagte Alex, »der sein ganzes Leben lang auf dich gewartet hat.«
    Er streckte den Arm nach mir aus, und ohne Zögern ging ich zu ihm. Wir kamen zu spät zu unserer eigenen Hochzeit. Mit jedem Schritt zurück zu der wartenden Limousine schwanden meine Bedenken weiter dahin. Ich wußte nur noch, daß ich Alex liebte. Ich liebte ihn so, daß es weh tat.

14
     
    Alex versuchte unsere Ankunft in Los Angeles so zu legen, daß wir mitten in der Nacht landeten, zwischen zwei und drei Uhr morgens, wo nur noch die hartnäckigsten Reporter an den Gates und der Gepäckausgabe herumlungerten. Am Tag vor unserem Abflug aus Kenia, wo wir unsere Flitterwochen verbracht hatten, weckte mich Alex, indem er mir die Hand auf die Wange legte. »Cassie, chere«, sagte er und küßte mich wach. »Cassie.«
    Ich setzte mich auf, und mein Blick fiel auf Alex’ ordentlich aufgestapelte Kleider, die präzis aufgereihten Schuhe und Toilettenartikel, die alle nur noch darauf warteten, in einen Koffer verfrachtet zu werden. Ich packte bei weitem nicht so gut wie Alex, und das überraschte mich irgendwie, denn ich hatte erwartet, daß er mindestens drei oder vier Bedienstete hatte, die das für ihn erledigen würden. Ich rieb mir mit der Hand über die Augen. »Müssen wir schon los?« fragte ich.
    »Gleich.« Er starrte aus dem Fenster auf den bleichen Mond, der die Ngong-Hügel silbern nachzeichnete. »Ich muß dir was sagen.«
    Automatisch versteifte ich mich. Hatte ich darauf nicht die ganze Zeit gewartet? Die Pointe, die Erkenntnis, daß ich einer Lüge aufgesessen war. Überraschung, würde er gleich sagen, die Hochzeit war eine Farce. Der Priester, der den Gottesdienst gehalten hat, war ein Schauspieler. Ich senkte den Blick, weil ich Alex nicht merken lassen wollte, daß ich längst mit diesen Worten gerechnet hatte.
    »Was auch immer passiert, wenn wir heimkommen - ich will, daß du eines begreifst.« Er nahm meine Hand und drückte sie auf seine Brust, unter der langsam und gleichmäßig sein Herz schlug. »Das bin ich. Ich werde vielleicht Sachen sagen und Dinge tun, die dir komisch vorkommen, aber diese Dinge tue ich nur, weil ich mich so benehmen muß, wie die Leute es von mir erwarten. Das ist nicht echt.« Er hauchte mir einen Kuß auf die Lippen. »Das ist echt.«
    Im ersten Moment war ich sprachlos. Alex’ Augen wurden regengrau. Seine Lippen spannten sich unmerklich an; jemandem, der ihn weniger gut kannte als ich, wäre es wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Unter meiner Hand begann sein Herz zu rasen.
    Er hatte Angst. Er fürchtete, ich könne nach Los Angeles heimkommen, erkennen, wen ich da eigentlich geheiratet hatte, und ihn verlassen. Er hatte keineswegs die Absicht, mich gehen zu lassen; er hatte einfach Angst, daß ich ihn verlassen wollen könnte.
    Aber Alex konnte auch nicht wissen, daß die Tage grau in grau ineinandergeflossen waren, bevor ich aus L. A. abgeflogen war. Er konnte nicht wissen, daß meine Haut zu summen schien, wenn er mich berührte; daß ich mich nie für schön gehalten hatte, ehe ich mich durch seine Augen sah. Er wußte nicht so genau wie ich, daß ich das Gegengift zu seinem Schmerz war; daß er meine Wunden linderte wie heilender Balsam. Ich lächelte und spendete ihm den Trost, von dem ich geglaubt hatte, ich würde ihn selbst brauchen. »Du wirst schon sehen«, sagte ich. »Es wird alles gut.«
    Alex legte schützend den Arm um mich, und ich verbarg

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