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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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es andersrum gewesen wäre, hätte er genau dasselbe getan. Wahrscheinlich hat er es getan.«
    »Nein«, erklärte ich fest. »Das hat er nicht.«
    Ich drehte mich um und sah Alex heranstürmen. Er packte mich am Handgelenk, und ohne Ophelia auch nur eines Blickes zu würdigen, zerrte er mich fort.
    Ich ließ mir von Alex die Wagentür öffnen, dann lehnte ich mich zurück und sah zu den blinkenden Sternen hoch, während Alex neben mich rutschte und zu John sagte, daß wir abfahren könnten. »So«, sagte er bedächtig, »morgen früh wird man mich als miesen, treulosen Hurensohn abgestempelt haben, und die aufmerksameren Bluthunde werden hämisch feststellen, wie pervers es von mir ist, ausgerechnet die beste Freundin meiner Frau zu vögeln.« Er starrte aus dem Fenster, weg von mir. »Dir ist klar, daß du wahrscheinlich nicht mit auf dem Bild bist. Deine Hand vielleicht, aber die wird man wegretuschieren. Natürlich wird deine Freundin Ophelia, wie beabsichtigt, in voller Größe zu sehen sein, mit meinem Arm um ihre Taille.«
    Ich legte die Hand auf seinen Schenkel. »Es tut mir leid, Alex«, sagte ich. »Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhat. Ophelia ist eigentlich nicht so.«
    »Du bist eine fast so gute Schauspielerin wie sie«, sagte Alex. »Man möchte dir fast glauben.« Er sah mich finster an. »Ich werde dir das nur einmal sagen, also merk es dir bitte: Ich kann es nicht leiden, wenn man mich wie ein Zirkustier vorführt. Schlimm genug, daß ich es mir zweimal überlegen muß, wenn ich tagsüber Spazierengehen will, daß ich in einem Aquarium leben muß, nur weil ich meine Arbeit gut mache. Aber ich lasse mich nicht benutzen, Cassie, nicht einmal von dir.«
    Das ganze Fiasko war indirekt mein Fehler, und deshalb ließ ich ihn seinen Zorn an mir abreagieren. »Ich weiß«, flüsterte ich und starrte hinaus in die nächtlichen Schatten, die draußen vorüberzogen.
    Es war weit nach drei Uhr morgens, als ich aufwachte und feststellte, daß Alex nicht ins Bett gekommen war. Wir waren heimgekommen, und nachdem er John eine gute Nacht gewünscht hatte, war Alex in die Bibliothek verschwunden. Er hatte die Tür hinter sich zugezogen, um unmißverständlich klarzumachen, daß er mich nicht in seiner Nähe haben wolle. Ich war die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer gegangen, wo ich spürte, wie der Teppich unter meinen Füßen nachgab. Ich zog mich splitternackt aus, weil ich die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben hatte. Ich lag im Bett und redete mir ein, daß es irgendwann schließlich zu einem Streit kommen mußte. Noch beim Einschlafen stellte ich mir vor, wie seine Hände über meine Haut strichen.
    Als seine Seite mitten in der Nacht immer noch leer war, bekam ich Angst. Ich zog einen dünnen seidenen Morgenmantel aus dem Schrank - ein Stück, das schon in Alex’ Schlafzimmer gehangen hatte, bevor ich ins Haus gekommen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er weggefahren war, ohne mir Bescheid zu sagen; ich wollte nicht glauben, daß er bei einer anderen war. Auf Zehenspitzen schlich ich über den Flur und öffnete die Türen zu den Gästesuiten, nur um erleichtert festzustellen, daß alle Betten leer und unbenutzt waren.
    Er war auch nicht in der Bibliothek oder in der Küche oder im Arbeitszimmer. Widerstrebend zog ich die schwere Haustür auf, ließ sie angelehnt, damit sie nicht hinter mir ins Schloß fiel, und lief die Marmorstufen hinunter in den Garten.
    Das Grundstück war wegen der versteckten Überwachungskameras hell erleuchtet, deshalb fand ich problemlos den Weg, der sich hinter dem Haus zwischen den Nebengebäuden hindurch zum Labyrinth wand. Ich war schon halb im Garten, als ich das rhythmische Platschen im Pool hörte.
    Durch die stechenden Chlorschwaden hindurch roch ich den Bourbon; ich weiß nicht, ob Alex so viel getrunken hatte oder ob ich durch die Erinnerung an meine Mutter auf diesen Geruch besonders stark ansprach. Der süße, starke Duft traf mich hinter den Augen, genau wie früher, und riß mich zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit.
    Als ich dreizehn Jahre alt war und den Geruch von Bourbon zu hassen gelernt hatte, der bei uns zu Hause scheinbar aus den Tapeten dunstete und durch die Lüftungsschlitze kroch, hatte ich einmal alle, aber auch alle Flaschen in die Küchenspüle geleert. Als meine Mutter das herausfand, bekam sie einen Tobsuchtsanfall. Sie hielt mich am Hemd fest, bis sie es am Ärmel zerriß, und schlug mich mit dem Handrücken ins Gesicht, bevor sie

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