Auf den zweiten Blick
erkennbare Regung. Cassie schüttelte den Kopf.
»Es war ein Alptraum«, redete er weiter. »So ein Reservat ist riesig. Ich dachte, ich würde dich nie finden. Als ich gestern hier ankam, wollte mir niemand verraten, wo du steckst. Die Leute haben mich entweder nur angeschaut oder so getan, als würden sie kein Englisch sprechen, oder sie haben mir erklärt, das würde mich nichts angehen. Was haben diese Leute bloß?«
Cassie schüttelte wieder nur den Kopf. Pine Ridge war wahrscheinlich der einzige Ort auf Erden, wo sie mehr Anhänger hatte als Alex Rivers.
»Also habe ich schließlich einen Teenager mit einer Flasche Wodka bestochen, und er hat mir den Weg hierher beschrieben.« Alex sah sich um. »Wo immer wir hier auch sind.«
»Das ist das Haus der Flying Horses«, antwortete Cassie, aber mehr würde sie ihm nicht verraten. Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Schenkel und setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Und?« fragte sie im Aufstehen und entfernte sich ein paar Schritte. »Was hast du seit der Oscarverleihung so getrieben?«
Sie drehte sich um und prallte auf Alex, der viel zu dicht hinter ihr stand. »Ich will nicht über mich reden«, sagte er leise und legte die Hand auf ihre Schulter. »Ich weiß nur zu gut, was ich das letzte halbe Jahr getrieben habe – ich habe versucht, mich umzubringen, und zwar langsam und gründlich: Ich habe meine Karriere sausenlassen und mich um den Verstand getrunken, weil du nicht bei mir warst.« Er ließ die Hände sinken und sprach plötzlich so leise, daß Cassie sich vorbeugen mußte. »Ich weiß nicht genau, weshalb du an jenem Tag so plötzlich verschwunden bist«, sagte Alex, »aber ich kann es mir vorstellen. Und du sollst wissen, daß ich alles tue, was du willst - ich würde sogar in einem anderen Zimmer schlafen. Aber bitte, Cassie - bitte sag, daß du zurückkommst.« Er sah sie an. In seinen Wimpern glänzten Tränen. »Du bist einfach ein Teil von mir«, sagte er. »Wenn du dich losreißt, pichouette, dann muß ich verbluten.«
Cassie starrte Alex an und spürte, wie die Welt unter ihren Füßen aus dem Gleichgewicht geriet. Drei Jahre lang hatte sie sich ununterbrochen davor gefürchtet, wie Alex auf sie reagieren würde; nun fürchtete er sich vor ihrer Reaktion. Sie hatte alles auf sich genommen, um ihn glücklich zu machen, jetzt bot er ihr dasselbe an: Therapie, Eheberatung, sogar Zölibat, weil er glaubte, daß ihr daran etwas lag. Im übertragenen Sinn lag er vor ihr auf den Knien - so wie sie im wörtlichen Sinn unzählige Male vor ihm.
Optimismus ging wie ein funkelndes Goldkorn in ihr auf und durchströmte sie bis in die Fingerspitzen. Sie legte die Hand auf Alex’ Wange und dachte daran, wie oft sie sich diesen Moment ausgemalt hatte, von dem an Alex seine Versprechen endlich halten würde, von dem an er freiwillig anfangen würde, sein und ihr Leben zu verändern, von dem an er es nie wieder riskieren würde, sie zu verlieren.
Cassie strich seine Tränen weg, beschämt, daß dieser Mann, der sonst nie weinte, es ihretwegen tat. Diesmal war alles anders. Er hatte begriffen, daß sie ihn tatsächlich verlassen konnte, und allein darum war sie ihm nun ebenbürtig. Er hatte zugegeben, daß etwas zwischen ihnen falsch lief. Er war wieder auf ihre Hilfe angewiesen, aber diesmal würde sie sich ihm nicht opfern, sondern ihn retten.
Sie lächelte ihn an. »Ich möchte dir zeigen, was ich in den vergangenen Monaten getan habe«, sagte sie. Sie machte auf dem Absatz kehrt, stieß die Tür des kleinen Hauses auf und ignorierte Dorotheas und Cyrus’ fragende Blicke. Sie sah Will an, aber nur, weil er das Baby hielt. Sein Blick war düster und abweisend, sein Mund zu einem dünnen Strich zusammengepreßt.
Cassie atmete tief durch und nahm ihm Connor von der Schulter. Sie schaukelte das Baby, um es bei Laune zu halten, während sie wieder nach draußen trat und die Tür hinter sich schloß. Dann streckte sie Alex das Kind wie ein Geschenk entgegen. »Das ist Connor«, sagte sie. »Dein Sohn.«
Alex trat einen Schritt zurück. Er machte keine Anstalten, das Baby zu berühren. »Mein was?«
Cassie zog Connor zurück an ihre Brust. »Dein Sohn«, wiederholte sie. Sie verstand nicht, was schiefgelaufen war, wo sich doch alles so perfekt angelassen hatte. »Ich war schwanger, als ich wegging. Das letzte Mal, als du – damals wurde mir klar, daß ich das Baby in Sicherheit bringen mußte. Aber ich verlor das Gedächtnis und landete wieder
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