Auf den zweiten Blick
lange her, daß sie merkte, wie ihre Wut verrauchte und sie ihn genau wie damals anstarrte, als sie die ersten Arbeitskopien seiner Filme angeschaut hatte - ehrfürchtig und überwältigt von seiner Schönheit, seiner bloßen Größe.
Er blieb vor der Veranda stehen, unterhalb des Geländers, an dem sie stand, als spiele er den Romeo und sie die Julia. Dann griff er nach oben, bestaunte ihre Hand, als habe er sie noch nie gesehen, und berührte ihre Fingerspitzen mit den seinen.
Es war der physische Kontakt, der Eindruck, daß das Idol von der Leinwand stieg, was Cassie erschreckte. Sie zuckte zurück, als habe sie einen Schlag bekommen, und ließ den Tränen freien Lauf. Sie mußte daran denken, wie Alex ihr mitten in Tansania im Smoking Wein eingeschenkt hatte. Sie sah ihn vor sich, wie er mit einem Kissenbezug auf dem Kopf auf dem Couchtisch stand und Lady Macbeth rezitierte. Sie dachte an Connor, den lebenden Beweis dafür, daß aus dem süßen Schmerz ihrer Verbindung etwas Vollkommenes entstehen konnte. Und sie konnte sich nicht entsinnen, warum sie wütend auf ihn sein sollte, warum genau sie ihn eigentlich verlassen hatte.
Dann stand Alex neben ihr und nahm sie in die Arme. »Nicht weinen«, bat er. »Bitte, Cassie, nicht weinen.«
»Ich kann nicht anders«, sagte Cassie, aber schon wischte sie sich die Tränen weg, willig, alles in ihrer Macht zu tun, um den Schmerz und die Düsternis in seiner Stimme zu lindern.
Er strich ihr mit den Fingern übers Gesicht, wie um sich ihre Züge neu einzuprägen. Dann lächelte er, setzte sich auf die oberste Stufe der Veranda und zog sie an seine Seite. Er legte eine Hand in ihren Nacken und küßte sie so zärtlich, daß sie spürte, wie ihr Widerstand zersprang, als sei er aus Glas. Seine Hände wanderten an die vertrauten Stellen neben ihren Brüsten; der Rhythmus seines Atems war ein altes, langsames Lied. Cassie ließ ihre Stirne gegen seine sinken, kämpfte die aufkeimende Angst nieder, die sie inzwischen bei jeder seiner Berührungen empfand, und versicherte sich, daß von nun an alles anders werden würde.
»Ich hatte noch zwei Wochen«, murmelte sie.
Alex drückte ihre Taille. »Es war schlimmer zu wissen, wo du bist, und nicht zu dir zu können, als überhaupt nichts zu wissen.« Er küßte sie noch einmal. »Ich dachte, wenn ich persönlich komme, würdest du mir vielleicht eher Gehör schenken.«
»Was ist, wenn ich hierbleiben will?« fragte Cassie.
Alex schaute auf die Ebene. »Dann werde ich Geschmack an South Dakota entwickeln.«
Cassie schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, über vollendete Tatsachen zu streiten; über etwas, was sie sich, wie sie wußte, insgeheim gewünscht hatte. Außerdem stand es ihr kaum zu, ihm Vertrauensmißbrauch vorzuwerfen, wo gleich hinter der Tür Connor auf ihn wartete.
»Und«, meinte Alex lächelnd, »was machen wir jetzt?«
Erleichtert erwiderte Cassie sein Lächeln. Sie war nur zu gern bereit, die fälligen Erklärungen auf später zu verschieben. »Ich weiß nicht. Du liest doch die ganzen Drehbücher. Was würde denn in einem Film passieren?«
Alex schrappte mit dem Stiefel über die Treppe und sah zu Boden, aber er rieb weiter mit dem Daumen über ihren Handrücken, als müsse er sich ständig davon überzeugen, daß Cassie tatsächlich aus Fleisch und Blut war. »Üblicherweise reiten der Held und die Heldin in den Sonnenuntergang davon.«
Cassie kaute auf ihrer Unterlippe, als würde sie sich das durch den Kopf gehen lassen. »Dann müssen wir noch gut sieben Stunden hier auf der Veranda sitzen«, erklärte sie.
Alex’ Blick wurde dunkel und schwer. »Wir könnten ja reingehen«, schlug er vor.
Cassie wußte genau, was ihm vorschwebte. Sie mußte laut lachen, weil sie sich vorstellte, wie Alex ins Wohnzimmer spazierte, um mit ihr ins Bett zu gehen, und von Cyrus’, Dorotheas und Wills eisigen Blicken empfangen wurde. »Ich glaube nicht, daß dir das gefallen würde«, sagte sie. »Es ist ziemlich voll da drinnen.«
Alex stutzte; die gottverdammten Boulevardblätter kamen ihm in den Sinn, die Cassie nach ihrem Verschwinden in der Luft zerrissen und ihr vom Schah von Persien bis zu John F. Kennedy junior alle nur möglichen Liebhaber angedichtet hatten. Sie lebte bestimmt nicht mit einem anderen Mann zusammen, sagte er sich. Sonst wäre sie nicht so entspannt. Sie hätte ihn nicht so geküßt.
Das hätte sie nicht fertiggebracht. »Du lebst nicht allein hier?« fragte er vorsichtig und ohne
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