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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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durchtränkte, wie er sie zum Lachen gebracht hatte, indem er ihr erzählte, wie er Clint Eastwood auf dem Hollywood Boulevard einen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretung verpaßt hatte. Manchmal, wenn Connor kurz vor dem Stillen quengelig wurde, hatte allein Will ihn wieder beruhigen können. Cassie fragte sich, wie sie ohne Will zurechtkommen sollte, und ganz unvermittelt kamen ihr seine Worte in den Sinn: Du kannst nicht von allem nur das Sahnehäubchen bekommen. »Wo ist Will?« fragte sie.
    »Laufen«, antwortete Cyrus. »Er ist aus dem Fenster geklettert, weil er euch nicht stören wollte.«
    Cassie verspürte einen Stich. »Kannst du auf Connor aufpassen?« fragte sie Cyrus. »Ich gehe ihn suchen.« Sie war schon öfter mit ihm spazierengegangen und kannte all seine Lieblingsplätze.
    Sie fand Will auf der kleinen Lichtung, die der Wald am Bachufer bildete. Er saß mit angezogenen Knien am Wasser und sog die Luft in gierigen Zügen ein.
    »Hi«, sagte Cassie. Sie setzte sich neben ihn, aber er sah sie nicht an. Er gab nicht einmal zu erkennen, daß er sie gehört hatte. »Alex ist weg«, sagte sie unsicher, und sofort wandte Will ihr den Kopf zu.
    »Er ist zurück nach L. A.?«
    Cassie schüttelte verlegen den Kopf, weil sie ihn absichtlich irregeführt hatte. »Er ist zurück nach Rapid City. Er holt uns morgen früh im Ort ab, dann fahren wir zum Flughafen.«
    Will versuchte zu lächeln, aber das Licht drang nicht in seine Augen. »Aha«, sagte er. »Und wann treffen wir ihn?«
    Cassie lachte. »Ich meinte Connor und mich. Soweit es Alex betrifft, existierst du gar nicht.«
    Will schaute wieder ins Wasser und biß die Zähne zusammen. »Warum hast du ihm nicht von mir erzählt? Vielleicht wäre er eifersüchtig geworden und hätte mich verprügeln wollen. Vielleicht hätte ich dir ein paar Rippenbrüche und Schläge ersparen können –«
    »Hör auf«, bat Cassie leise und legte die Hand auf Wills Arm. »Er hat sich geändert.«
    Will schnaubte. »Scheiße, natürlich hat er sich geändert. Schließlich hat man ihm den Punchingball weggenommen.«
    »Er will sich helfen lassen. Er hat zugegeben, daß irgendwas nicht stimmt. Ich muß nur noch einen Therapeuten finden.«
    Will zupfte an einem Grashalm. »Alles ohne Gewähr«, meinte er knapp. »Was Flanschen nicht lernt - du kennst das Sprichwort. Was machst du, wenn er sich an dem Baby vergreift?«
    Will sah, wie ihre Miene allein bei dem Gedanken gefror; vermutlich hatte sie sich alle Mühe gegeben, ihn gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wunderbar, dachte er, während er beobachtete, wie sie ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen versuchte, wach nur auf aus deinem Traum. Er wollte ihr weh tun. Sie sollte weinen, genau wie er insgeheim weinte.
    »Er wird Connor nicht anrühren«, erklärte Cassie mit Nachdruck. »Damit würde er zu sehr nach seinem Vater schlagen.«
    »Hübsch ausgedrückt«, meinte Will bissig.
    Cassie sprang auf, so daß die Grasschnipsel, die sie in ihrem Schoß kleingezupft hatte, auf Will herabregneten. »Was ist denn los mit dir?« fragte sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich dachte, du seist mein Freund. Ich dachte, du möchtest, daß ich glücklich bin.«
    Das will ich auch, dachte Will, Aber ich will, daß du mit mir glücklich bist. »Komisch«, sagte er laut. »Du hast immer gedacht, daß ich nur glücklich werden könne, wenn ich genau das tue, was du für richtig hältst.«
    Cassie funkelte ihn an. »Wie meinst du das?«
    »Du weißt schon. >Hör auf, den Sioux in dir zu verleugnen, Will.< Mein gottverdammtes Medizinbündel, das du in L. A. an die Wand gehängt hast, wo ich es ständig vor Augen hatte.«
    »Du hast es wieder runtergerissen«, wandte Cassie ein. »Ich wußte es doch nicht besser.« Sie stupste mit dem Zeh an einen Stein. »Außerdem«, meinte sie selbstgefällig, »habe ich recht gehabt. Du hast dich vollkommen verändert, seit du nach Pine Ridge zurückgekommen bist - ganz offensichtlich stößt sich außer dir kein Mensch daran, daß du halb weiß bist.«
    Will sprang auf und starrte Cassie ins Gesicht. »Ich möchte nur wissen, warum ich meiner Vergangenheit nicht den Rücken zukehren darf, während für dich ganz andere Regeln gelten?«
    Cassie machte einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    Will packte sie an den Schultern. »Doch, das weißt du. Du weißt, was er dir angetan hat, und du weißt, daß er es wieder tun wird.« Er verzog den Mund. »Ich konnte meiner

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