Auf den zweiten Blick
sah ihr direkt ins Gesicht, aber sie spürte, daß er jemand anderen sah. In panischem Schrecken zerrte sie an Alex’ Handgelenk. »Hör auf«, flüsterte sie, doch bevor sie ihn noch einmal fragen konnte, was in ihn gefahren sei, preßte er sie mit seinem Körper in die Polster und raubte ihr einen Kuß, der Alex gar nicht ähnlich sah.
Er spielte.
Sie bohrte die Fingernägel in seine Arme und biß ihn in die Lippe, bis sie ihn endlich von sich stoßen konnte. »Hör auf«, befahl sie. »Hör sofort auf.«
Einen Augenblick erstarrte er. Seine Augen wurden blaß wie arktisches Eis, und alles Leben wich aus ihm, bis nur noch eine leere Hülle neben ihr saß. Und dann arbeitete sich etwas nach oben, langsam wie ein Erröten, das Farbe in seine Haut und seine Augen zum Funkeln brachte. Er war wieder Alex, und er zuckte mit den Achseln. »Du hättest nicht gleich beißen müssen«, sagte er. »Ich dachte, dir würde eine kleine Privatvorstellung gefallen.«
Immer noch mißtrauisch zog Cassie sich in die Ecke zurück. »Wer hat dir verraten, wo ich war?« Ihr Blick fiel auf John.
Alex nahm ihre Hand und verwob ihre Finger mit seinen. »Ich weiß alles über dich«, erklärte er lächelnd.
Das glaubte sie allmählich auch. Er war wieder der Alex, an den sie sich in den vergangenen Tagen gewöhnt hatte, lustig und liebevoll und gemütlich wie ein alter Sessel. Cassie begann sich zu fragen, ob das auch nur eine Rolle war, die er spielte, mit der er sich die meiste Zeit umhüllte.
Sie schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Was dachte sie da? Sie hatte Alex auch vollkommen schutzlos erlebt - als er ihr von seinen Eltern erzählte, als er ihr im flachen Wasser Karate beibringen wollte, als er im Schlaf die Hand nach ihr ausgestreckt und ihren Namen geflüstert hatte. Es war unmöglich, ständig eine Rolle zu spielen; es war lächerlich zu glauben, daß das, was sie sah, nicht echt war. Sie drückte seine Hand. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Normalerweise beiße ich nicht.« Er wandte sich ihr zu, tätschelte das Leder neben sich, und bereitwillig rückte sie näher.
»Aber warum hast du dir ausgerechnet Antonius ausgesucht, um Gottes willen?«
Alex lächelte. »Als wir frisch verheiratet waren, hast du Antonius geliebt.«
Cassie machte den Mund auf, um ihm zu widersprechen, überlegte es sich aber anders. Alex hatte recht. Er wußte tatsächlich alles über sie, und im Augenblick wußte sie so gut wie gar nichts, und deshalb hatte sie keine andere Wahl, als ihm zu glauben.
Sie fuhren fünfzehn Minuten schweigend weiter, dann spürte Cassie, wie Alex sie auf den Kopf küßte. »Du bist wahrscheinlich nur aufgeregt, weil du gleich unsere Angestellten wiedersiehst«, sagte er.
Cassie starrte aus dem Fenster. Sie wußte, daß sie an Bäumen und Straßen und blühenden Büschen vorbeifuhren, aber der Wagen war so schnell, daß die Welt draußen zu lauter Farbpfützen verschwamm; sie konnte nichts wirklich erkennen. »Ja«, sagte sie. »Das wird es sein.«
Das Haus stand auf einem Hügel in Bel-Air am Ende einer kilometerlangen, gewundenen Auffahrt – eine weiße Villa mit schmiedeeisernen Gittern und Schieferdach. Die Veranda vor dem Haus trug einen breiten, überdachten Balkon im ersten Stock, wo bodenlange Spitzengardinen aus offenen Glastüren wehten. Rosen kletterten ein Spalier auf der linken Seite des Hauses hinauf, auf der rechten rankte sich Sonnenwinde nach oben. In der Ferne konnte Cassie einen französischen Garten und zwei kleinere Häuser entdecken, kleine Kopien des Haupthauses. Es sah haargenau aus wie auf einer Plantage in Louisiana.
»Mein Gott«, hauchte Cassie; sie hörte den Kies unter ihren Turnschuhen knirschen, als sie aus dem Wagen stieg. »Das kann doch unmöglich unser Haus sein.«
Alex nahm sie am Ellbogen und führte sie die Stufen zur Veranda hinauf. John öffnete die Haustür für sie, ein großartiges Eichenportal mit einem geschnitzten Löwenkopf.
Die Eingangshalle war ein überdimensionaler Raum mit Kuppeldecke, einer zweigeteilten, geschwungenen Treppe und rosa Marmorboden. Cassie starrte auf ihre Füße: Sie standen in einer Pfütze aus buntem Licht, das durch das Buntglasfenster über der Tür fiel. Wie ein Fleck zogen sich Alex’ Initialen über ihren linken Schuh und ihren Knöchel.
»Cassie«, sagte er, und sie fuhr hoch. »John hat allen von deinem… kleinen Problem erzählt, und sie werden dir auf jede nur erdenkliche Weise behilflich sein, bis wir nach
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