Auf den zweiten Blick
kein einziges Wort mehr hören konnte. »Sparen Sie sich die Mühe«, sagte ich und lächelte gezwungen. »Ich nehme an, man hat mich übergangen, vielen Dank, und das war’s.« Ich war schon auf dem Weg zur Tür.
»Miss Barrett.«
Ich blieb stehen, eine Hand auf dem Türknauf, und drehte mich zu ihm um.
»Setzen Sie sich.«
Ich sank wieder auf den Stuhl und versuchte zu überschlagen, um wie viele Felder mich meine Reaktion eben bei Custer zurückgeworfen hatte.
»Wir haben im ersten Quartal einen ungewöhnlichen Auftrag für Sie«, fuhr er fort. »Sie liegen uns doch ständig damit in den Ohren, daß Sie im Feld arbeiten wollen.«
Ich beugte mich vor. Sollte im Herbstsemester ein neues Praxisseminar gestartet werden? Im Kopf überflog ich schon die möglichen Ausgrabungsorte: Kenia, Sudan, die Scilly-Inseln. Würde ich das Seminar leiten oder mit jemandem zusammenarbeiten?
»Also, leider können wir Ihnen dieses Semester keine Professur anbieten«, sagte Custer. »Statt dessen haben wir Sie für ein Freisemester empfohlen.«
Ich krampfte die Finger um die Armlehnen. Ich hatte kein Freisemester beantragt. »Bitte verzeihen Sie, Archibald, aber zu meiner Verteidigung muß ich sagen, in den letzten drei Jahren –«
»Haben Sie ausgezeichnete Arbeit geleistet. Ja, ich weiß. Das wissen wir alle. Aber manchmal« - er verzog das Gesicht -»manchmal reicht das einfach nicht aus.«
Was Sie nicht sagen, dachte ich.
»Wir haben gedacht, Sie könnten unser altes Gelände in der Olduvai-Schlucht wieder eröffnen. Es für eine Erstsemester-Expedition vorbereiten«, sagte Custer und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Ich knirschte mit den Zähnen. Sie wollten mich als Laufburschen - ich sollte das Terrain für ein Seminar vorbereiten, das ich nicht einmal halten durfte. Jeder halbwegs erfahrene Student konnte das machen. Dafür hatte ich nicht so schwer gearbeitet, dafür hatte ich meine Dissertation nicht geschrieben. So hatte ich mir die nächste Sprosse auf meiner Karriereleiter bestimmt nicht vorgestellt. »Es gibt doch sicher jemanden, der dafür besser geeignet ist als ich«, wand ich mich.
Custer zuckte mit den Achseln. »Sie sind das einzige Mitglied in der Fakultät, das nächstes Semester keine… anderweitigen Verpflichtungen hat«, sagte er.
Mir war klar, was er da sagte. Er sagte mir, daß ich als einzige entbehrlich war.
Keine sechsunddreißig Stunden später war ich in Tansania und saß unter dem kühlen Schatten eines behelfsmäßigen Sonnensegels in dem winzigen Abschnitt der Olduvai-Schlucht, den die Universität für ihre Studenten-Exkursionen beanspruchte. Ich war immer noch wütend, weil ich ins Exil geschickt worden war, aber ich hatte Custer nicht widersprochen. Es wäre ein Fehler gewesen. Schließlich würde ich in zehn Wochen wieder antreten und um einen Lehrauftrag betteln müssen.
Ich versuchte mir einzureden, daß dieses Intermezzo sich als lohnend erweisen könnte. Schließlich war die Olduvai-Schlucht Louis Leakeys erste Ausgrabungsstätte in Ostafrika gewesen. Vielleicht würde auch ich groß rauskommen: das missing link oder etwas in der Art entdecken, das meinen Kollegen die Augen übergehen ließ und die gegenwärtigen Theorien der menschlichen Evolution von Grund auf ändern würde. Die Chancen standen schlecht, aber ich war noch jung, und es gab noch Millionen von Jahren an Vorgeschichte zu entdecken.
Allerdings hatte mich mein Rundgang am Vormittag davon überzeugt, daß ich genau wie all die anderen Anthropologen, die das Gelände nach Leakeys Entdeckungen jahrzehntelang überrannt hatten, nichts Neues zutage fördern würde. Ich hatte keine Ahnung, was ich hier zehn Wochen lang anfangen sollte. Ein Gelände für ein Praxissemester vorzubereiten bedeutete, die Punkte festzulegen, an denen man am wahrscheinlichsten auf einen Fund stoßen würde; aber so, wie es aussah, konnten die Studenten genausogut im Universitätskeller buddeln.
Als die Sonne höher kletterte, spazierte ich gelangweilt über das Gelände und kramte in meinem großen Strohkorb nach dem Buch, das ich im Flugzeug angefangen hatte. Ich schaute mich kurz um, um sicherzugehen, daß ich allein war.
Lächerlich. Mein Herz klopfte, als würde man mich gleich mit einem Gramm Kokain erwischen. Es war ein billiger Liebesroman, mein einziges Laster. Ich rauchte nicht, ich trank kaum, ich hatte nie Drogen genommen, aber nach diesen dämlichen Büchern mit den halbnackten Frauen in den Armen eines Kraftprotzes
Weitere Kostenlose Bücher