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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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vergessen. Der Film hatte mich überrascht, weil ich mir Alex Rivers zuvor nicht als romantischen Helden vorstellen konnte und er mich überzeugt hatte.
    Die Botschaft des Filmes hatte mich während der ganzen Heimfahrt nicht losgelassen: Es war besser, jemanden geliebt und verloren zu haben, als nie geliebt zu haben. Ich fragte mich, ob das stimmte. Liebe war meines Wissens nicht mehr als eine gut geplante Verführung. Im College hatte ich meine Unschuld an einen Jungen aus einer Studentenverbindung verloren, einfach weil ich endlich Bescheid wissen wollte. Die Sache war ohne Herzschmerz und ohne Seelenverwandtschaft über die Bühne gegangen. Hitziges Blut, heißer Atem, schlichter Sex – mehr war nicht dran gewesen.
    Es hatte nicht viele andere gegeben, aber ich hatte nicht das Gefühl, viel zu verpassen. Meist war ich zu beschäftigt, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich hätte gern Kinder bekommen, eines Tages, aber ich wollte nur mit jemandem ein Kind haben, der mir etwas bedeutete, und bis dahin hatte es nur einen gegeben, in den ich mich hätte verlieben können: Connor.
    »Ich muß Schluß machen«, sagte ich. »Das hier kostet mich ein Vermögen.«
    »Ruf mich Donnerstag wieder an, wenn du ihm begegnet bist.«
    »Ophelia –«
    »Am Donnerstag.«
    Ich schloß die Augen. »Mal sehen«, sagte ich. »Ich verspreche nichts.«
    Ich hatte noch nie so viele Leute auf einem Haufen gesehen, die fürs Nichtstun bezahlt wurden. Sie hockten auf dem Boden, auf Klappstühlen, auf Felsbrocken. Kräne mit riesigen Kameras standen herum, und überall lagen Kabel. Ein Mann mit Kopfhörer saß vor einem tragbaren Mischpult mit bunten Knöpfen und Schaltern. Alle unterhielten sich, George und Edward waren nirgendwo zu sehen, und niemand sah so aus, als sei er der Boss.
    Ich war es gewohnt, an einsame Flecken geschickt zu werden, wo ich keine Menschenseele kannte, aber hier war ich überhaupt nicht in meinem Element. Bei jedem Schritt schien ich mich in einem Kabel zu verheddern, und ich hatte schon einen Mann über den Haufen gerannt, der eine ganze Kollektion von Perücken und Tweedhüten vor sich hertrug. »O mein Gott«, hatte ich mich entschuldigt. »Ich helfe Ihnen.« Aber er hatte mich bloß grimmig angeschaut, seine Sachen aufgeklaubt und war weitergelaufen.
    Ich ging zu einer Frau in einem hohen Regiestuhl, auf dem SCRIPT stand. »Verzeihen Sie, ich suche den Regisseur.«
    Sie seufzte, schaute aber nicht von dem offenen Ordner auf, den sie auf dem Schoß hatte. »Ich doch auch, Süße«, antwortete sie. Sie kritzelte mit einem roten Stift eine Notiz, dann rief sie nach jemandem und winkte ihn zu sich.
    Ich schlängelte mich zwischen Leuten mit Walkie-Talkies am Gürtel durch. Auf einem Tisch lag ein Stapel Drehbücher. »Nach seinem Bilde«, las ich laut und fuhr mit dem Finger über das unten eingeprägte Siegel der Warner Brothers.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Ein gehetzt aussehender Mann stand vor mir und klopfte mit der Fußspitze auf den Boden. Er riß mir das Drehbuch aus der Hand.
    »Ich suche Bernie Roth«, sagte ich. »Den Regisseur.«
    Der Mann grinste abfällig. »Meinen Sie, ich weiß nicht, wer er ist?« Er schnippte mit den Fingern, als zwei Männer mit einem schweren schwarzen Seil vorbeikamen. »Hey - hey, wohin wollt ihr damit? Ich hab’ euch doch gesagt, es soll hinter das Zelt.«
    »Moment«, rief ich, als er dem Seil nachstürzte. »Bernie Roth?«
    »Gleich«, hielt er mich hin. Er schrie den beiden Männern mit dem Seil nach: »Hinter das Zelt.« Ich stellte meinen Rucksack auf dem Tisch ab und setzte mir eine khakifarbene Baseballkappe auf. Wenn Mohammed nicht zum Berg kommen kann, dachte ich mir, dann würde ich eben warten, bis der Berg zum Propheten kam. Früher oder später würde jemand nach mir suchen. Ich setzte mich mit dem Rücken an einen hohen Baum und zog die Knie an die Brust.
    Ich versuchte, über Alex Rivers nachzudenken. Natürlich wußte ich, wie er aussah - er war jeden Monat auf dem Titelblatt irgendeiner Zeitschrift, hätte man meinen können. Er war, in einem Wort, phantastisch. Sein braunes Haar war mit goldenen Strähnen durchzogen; sein Kinn war energisch und wurde von einem kleinen Grübchen geteilt. Er hatte volle, weiche Lippen, die immer so aussahen, als würden sie ein Geheimnis zurückhalten. Und seine Augen, seine berühmten Augen, waren einfach unglaublich. Sie waren silbern wie ein leerer Spiegel. Und wie bei einem Spiegel konnte man schwören, daß man in

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