Auf den zweiten Blick
die Fäuste so fest geballt, daß die Knöchel weiß hervortraten. Seine Augen blitzten, und einen Moment erwartete ich, daß er mich schlagen oder mich zur Seite schubsen würde, um dann zum Set zurückzustürmen.
Eine Weile sagte ich gar nichts, so verblüffte mich die Wucht der gezügelten Wut, die von Alex ausstrahlte. »Ich wünschte, ich wüßte, was ich von dir denken soll«, flüsterte ich. »Ich habe immer wieder uns beide gesehen. Dasselbe Zelt, Alex. Dieselbe Pritsche. Alles war so wie gestern nacht, nur war es diesmal nicht ich.« Als sein Gesicht vor meinen Augen verschwamm, wandte ich mich ab. »Bitte laß mich das nie wieder mit ansehen«, sagte ich. Ich schob mich an ihm vorbei und lief, bis das Hämmern meines Herzens lauter war als seine Stimme. Und immer wieder sagte ich mir, ich hätte wissen müssen, daß jemand, der so kraftvoll und so gut lieben konnte, mit der gleichen Kraft hassen und verletzen konnte.
Er war zwölf, und er klaute schon jahrelang, also hätte er nicht so blöd sein dürfen, sich erwischen zu lassen. Aber in letzter Zeit sahen die Mädchen total gut aus, und die Blonde an der Kasse mit den Mangobrüsten schaute immer wieder zu ihm rüber. Und bevor er die Pepsidose in seine Tasche fallen lassen konnte, spürte er, wie sich eine fleischige Faust um sein Handgelenk schloß und ihn herumwirbelte. Zum zweiten Mal in dieser Woche starrte Alex in das narbige Gesicht des Wachmanns, und als er einen Seitenblick wagte, ging ihm auf, daß das Mädchen an der Kasse gar nicht zu ihm rübergesehen hatte.
»Bist du einfach nur strohdumm«, fragte ihn der Wachmann, »oder gibt es irgendeinen anderen Grund, warum du noch mal in diesen Laden gekommen bist?« Alex machte den Mund auf, aber bevor er einen Satz rauskriegte, wurde er durch die automatische Tür geschoben und zur Polizei gebracht.
Das Revier war voller Zuhälter und Dealer und kleiner Gauner, und der zuständige Beamte hatte wenig Verständnis dafür, daß man ihn mit einem Kind belästigte, das beim Klauen erwischt worden war. Der Sergeant schaute von Alex zum Wachmann. »Dafür geb’ ich keine Zelle her«, sagte er. Als Kompromiß zog er ein Paar Handschellen heraus und kettete Alex vor seinem Pult an einen Stuhl.
Man nahm ihm die Fingerabdrücke ab und verhörte ihn, aber sogar Alex wußte, daß sie ihm damit bloß angst machen wollten; er war noch nicht strafmündig, und in New Orleans kriegte man höchstens eins auf die Finger, wenn man beim Klauen erwischt wurde. Der Sergeant kettete ihn wieder an den Stuhl, und Alex blieb ganz ruhig sitzen, die Knie an die Brust gezogen und den freien Arm um die Knöchel gelegt. Er schloß die Augen und stellte sich vor, er würde in der Todeszelle sitzen und auf seine Hinrichtung warten.
Irgendwann später fiel er dem Sergeant auf. »Scheiße«, sagte er. »Hat dich noch keiner abgeholt?«
Alex schüttelte den Kopf. Der Sergeant fragte ihn nach seiner Telefonnummer und wählte sie, halb über das Pult gebeugt und in seinem Arrestbuch lesend. Er schaute Alex an. »Arbeiten deine Eltern?« fragte er.
Alex zuckte mit den Achseln. »Es müßte jemand daheim sein.«
»Tja«, antwortete der Beamte. »Ist aber niemand daheim.«
Eine Stunde später versuchte es der Beamte noch mal. Diesmal hatte er Andrew Reveaux dran; Alex erkannte das daran, wie er den Hörer vom Ohr weghielt, als könne er sich was Ansteckendes einfangen. Nach einer Minute reichte er den Hörer an Alex weiter.
Die Schnur war straff gespannt. Alex hielt sich den Hörer ans Ohr. Er wußte nicht, was er sagen sollte; »Hallo« kam ihm irgendwie verkehrt vor. Sein Vater brüllte einen Schwall französischer Flüche ins Telefon und versprach zum Schluß, daß er Alex grün und blau prügeln werde. »In fünfzehn Minuten bin ich da«, sagte er und legte auf.
Aber Andrew Riveaux kam nicht in fünfzehn Minuten, auch nicht nach einer Stunde. Von seinem Stuhl aus verfolgte Alex, wie es draußen dunkel wurde und der Mond wie ein weißes, runzliges Geistergesicht in den Himmel schwebte. Er wußte, daß das zur Strafe gehörte - das Mitleid der Polizisten und der Sekretärinnen, die so taten, als würden sie ihn gar nicht bemerken. Er rutschte auf seinem Stuhl herum, weil er pinkeln mußte, aber nicht auf sich aufmerksam machen wollte, indem er darum bat, aufs Klo zu dürfen.
Der Sergeant bemerkte ihn, als er nach seiner Schicht nach Hause wollte. »Hast du nicht zu Hause angerufen?« fragte er verwundert.
Alex nickte. »Mein
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