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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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uns aus blendendweißen Lutscherstecken und heißen, geflüsterten Träumen eine Kindheit aufgebaut hatten. Und dann ließ ich ihn gehen.
    »Stopp!«
    Ich konnte meine Stimme selbst kaum hören, aber der Chauffeur der Limousine – Gott allein wußte, wie Alex sie in Tansania aufgetrieben hatte - trat augenblicklich auf die Bremse. Bevor er sich umdrehen und mich fragen konnte, was ich wollte, hatte ich die Tür aufgerissen und rannte los.
    Ich nahm an, daß mir jemand nachlaufen würde. Und mich auch eingeholt hätte, weil ich in dem Zehnkilokleid und dem engen Korsett nicht gerade rasend schnell war. Nur einmal hielt ich kurz inne und schleuderte mir die Slipper von den Füßen, weil ich glaubte, barfuß schneller zu sein.
    Mein Schleier wehte wie ein Nebelschwaden hinter mir her, und Schweiß lief mir über den Hals und unter das Kleid, aber niemand kam mir nach. Als ich das merkte, wurde ich langsamer und preßte mir, halb hinkend, die Hand in die stechende Seite.
    Ich mußte diese Hochzeit abblasen. Unsere Beziehung, unsere Liebe war nicht von dieser Welt. Ich konnte doch nicht ernsthaft glauben, daß ein paar magische Wochen unter der Sonne Afrikas alle Unterschiede zwischen unseren Lebensweisen ausradieren würden; daß ich heimkommen und mich, ohne auch nur zu straucheln, in Alex’ glitzernde Hollywoodwelt gleiten lassen konnte!
    Alles, was ich mir je gewünscht hatte, war ein Lehrauftrag an einer Universität, die Habilitation als Professorin und ein überwältigender Forschungserfolg. Ein Mann wie Alex hatte in meinen Träumen nie eine Rolle gespielt, wie also sollte er in mein Leben passen? Ich setzte mich mitten im Nichts ins hohe Gras, umgeben von einer Wolke aus weißem Satin.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so da saß; ich konnte die Zeit nur daran messen, daß ich meinen Schleier verloren hatte und daß mein Make-up zu einem braunen Rand am engen Kragen meines Kleides verlaufen war; zweifellos waren die blauen Flecken jetzt deutlich zu sehen. Alex’ Schritte flüsterten im hohen Gras, dann kauerte er sich neben mir nieder. »Hi«, sagte er, zupfte einen Grashalm ab und steckte ihn sich zwischen die Zähne.
    Ich konnte ihn nicht ansehen. »Hi«, sagte ich. Er faßte mich am Kinn und drehte meinen Kopf, bis ich ihn anschauen mußte. In seinem schwarzen Frack und dem schneeweißen Hemd sah er atemberaubend aus.
    »Bammel?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Könnte man so sagen.«
    Sein Blick flog kurz über meine Kehle. Schuldbewußt griff ich nach seiner Hand. »Alex«, sagte ich und atmete tief ein, »ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist.«
    »Da hast du vollkommen recht.«
    Verblüfft blinzelte ich ihn an. War er etwa auch aus seiner Limousine getürmt und ganz zufällig auf demselben Fleck gelandet wie ich? Er zwinkerte in die Sonne. »Ich hätte kein so großes fais-dodo veranstalten sollen. Eine Riesenfete. Wir hätten lieber in aller Stille heiraten sollen, nur du und ich, ohne die vielen Leute.« Er sah mich an. »Wahrscheinlich habe ich einfach geglaubt, daß jede Frau von so einer Hochzeit träumt. Ich hatte bloß vergessen, daß du nicht jede Frau bist.«
    »Ich dachte eher daran, die Sache ganz abzublasen.« So, jetzt hatte ich es ausgesprochen. Ich wartete ab, ob Alex mich anbrüllen oder aufspringen oder mir widersprechen würde.
    »Warum?« fragte er leise, und das war mein Untergang.
    Ich wußte, er dachte an die Nacht, als wir zelten waren, aber das traf es nur zum Teil - ich machte ihm bestimmt keinen Vorwurf; ich sah es eher so, daß ich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Das Problem lag viel tiefer. Ich hatte nicht gewußt, daß ihn Alpträume heimsuchten. Ich hatte nicht gewußt, wie sehr er als Kind auf sich allein gestellt war. Ich ahnte, daß der Alex Rivers, den ich kannte, nur die Spitze des Eisbergs war, daß irgendwo unter der Oberfläche gefährliche Strömungen und dunkle Leidenschaften lauerten.
    »Ich weiß doch gar nichts über dich«, sagte ich. »Was ist, wenn der Alex, der mir sein halbes Frühstück aufhebt und im Teich hinter der Lodge Marco Polo spielt, nur eine deiner vielen Rollen ist?« Unausgesprochen stand der Satz zwischen uns: Was ist, wenn der echte Alex jener Mensch ist, den ich neulich nacht kennengelernt habe?
    Alex wandte den Blick ab. »Ich glaube, die Zeile heißt: In guten wie in schlechten Zeiten.« Er stand auf und drehte mir den Rücken zu. »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß meine Liebe zu dir nicht gespielt ist, Cassie. Das

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