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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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alleine weggeht?«
    »Es geht weg, wenn man es aushungert«, behauptete ich. »Wenn man ihm keine Nahrung gibt …«
    »Das ist doch Unsinn«, sagte er, und jetzt war die Unsicherheit aus seiner Stimme verschwunden. »Im Gegenteil: Das macht es nur noch schlimmer. Hast du noch nie was von Projektion gehört? Wenn wir uns aber besser kennenlernen, besteht die Chance, dass wir ganz schnell merken, dass diese … Gefühle  … der Realität nicht standhalten.«
    Die Argumentation hatte was Bestechendes, und für einen Moment war ich versucht, ihm recht zu geben.
    »Stell dir mal vor: Wir sitzen uns in einem Café gegenüber, im Tageslicht und völlig nüchtern, und merken, dass wir überhaupt nicht zueinanderpassen«, fuhr er in weichem, verlockendem Tonfall fort. »Ich könnte dich mit blödem Geschwafel über Golf und Autos langweilen, und du könntest mir erzählen, dass du einen Hammerzeh hast. Vielleicht könntest du ihn mir sogar zeigen.«
    Ich musste lachen. Eine Sekunde oder so.
    »Okay, das mit dem Hammerzeh funktioniert schon mal nicht, ich mag den jetzt schon«, sagte Mathias. »Aber bestimmt gibt es andere Dinge, die … Wir müssen uns nur näher kennenlernen.«
    »Aber wie viel näher?«, fragte ich.
    »Das werden wir herausfinden.«
    »Nein! Das ist mir … zu gefährlich. Ich hab viel zu viel zu verlieren.« Und ich höre mich an wie ein deutsches Chanson. »Ich werde jetzt auflegen.« Tatsächlich aber rührte ich keinen Finger, sondern wartete atemlos auf seine Antwort. Er ließ sich damit ein wenig Zeit.
    »Ich bin noch bis morgen Nachmittag in der Stadt, ruf mich an, wenn du es dir anders überlegst«, sagte er dann. »Ich werde das Handy nicht aus der Hand legen.«
    Aber im Gegensatz zu mir schaffte er es, den Ausknopf zu drücken.

Wer nie einen Fehler beging, hat nie etwas Neues ausprobiert.
    Albert Einstein
    »Du siehst müde aus, Kindchen.« Felix’ Mutter kniff mir in die Wangen. »Nimmst du denn auch genug Vitamine zu dir? Folsäurekapseln sind sehr wichtig für Schwangere, das stand erst neulich im Apothekerblatt.«
    »Ich bin nicht schwanger, Luise«, sagte ich.
    »Hab ich das denn gesagt?« Sie zwinkerte mir zu. Aus irgendeinem Grund unterstellte sie mir seit Monaten eine heimliche Schwangerschaft. Seit elf Monaten, um genau zu sein. Vielleicht dachte sie, ich sei ein Elefant. »Ich habe meiner Schwiegermutter die gute Neuigkeit damals auch erst mitgeteilt, als ich im siebten Monat war.«
     
    Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten.
Woody Allen
     
    Ich seufzte. »Wenn wir ein Kind erwarten, dann erfährst du es ganz bestimmt als Erste«, sagte ich. Hinter mir lagen grauenhafte vierundzwanzig Stunden, in denen ich krampfhaft versucht hatte, nicht an Mathias zu denken, de facto aber nichts anderes getan hatte. Kurz gesagt: Mein vernünftiges Verhalten fühlte sich an wie eine Krankheit, und offenbar sah ich auch so aus. Zudem war meine Wahrnehmung stark eingeschränkt, wegen der verdammten Schmetterlinge, der doofen Achterbahn und der lästigen Geigen. (Hatte ich die Geigen eigentlich schon erwähnt? Sie spielten ununterbrochen »Love never dies« und »I’m still in love with you«.) Jedes Mal, wenn Felix mich anschaute, etwas fragte oder mich berührte, drohte ich an meinen Schuldgefühlen zu ersticken, und gleichzeitig musste ich das perverse Bedürfnis unterdrücken, ihm zu erzählen, was gerade in mir vorging. Es war verrückt, aber gleich nach Eva war nun mal Felix der Mensch, der mich am besten verstand. Der Mensch, den ich auf der Welt am meisten liebte und dem ich am wenigsten wehtun wollte.
    Auf Lindas Geburtstagsfeier war ich nur körperlich anwesend gewesen, das Einzige, das mir von dem Nachmittag in Erinnerung blieb, war die Frau aus Lindas Biodanzagruppe, die Linda als Partygag engagiert hatte, um allen aus der Hand zu lesen. Sie behauptete, auf meiner Lebenslinie befände sich ein Fleck und deshalb würde ich leider jung sterben, was von mir aus gerne auch sofort hätte passieren können, denn dann wäre ich wenigstens um dieses Mittagessen mit Felix’ Eltern herumgekommen.
    Felix’ Mutter war abgesehen von ihrem Enkelkindersyndrom noch einigermaßen zu ertragen, aber Felix’ Vater Hermann konnte ich genauso wenig ausstehen wie Florian. Er war eine grauhaarige, humorlose und altersstarrsinnige Ausgabe seines jüngeren Sohnes, ähnlich ignorant, eitel und geltungsbedürftig. Aus diesem Grund ließ er sich auch gerade ein

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