Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
sehr«, gurrte Lillian.
»Hallo«, sagte Mathias, der an diesem Abend definitiv schon sehr viel herzlicher gelächelt hatte als jetzt und – das bemerkte ich trotz des nahenden Aufpralls – Felix bedeutend gründlicher musterte als Lillian.
Felix lächelte arglos zurück. Die Sorgenfalte zwischen den verstrubbelten Augenbrauen war heute ausnahmsweise mal verschwunden, aber er sah müde aus, und er trug eins der karierten Hemden, die seine Mutter ihm immer zu Weihnachten und zum Geburtstag schenkte. (Ich warf jedes Jahr zwei davon in den Altkleidersack, aber es wurden einfach nicht weniger.) Offenbar hatte er nach der Arbeit schnell noch geduscht und danach vergessen, seine Haare zu kämmen, denn eine Strähne stand an der Seite ab wie ein Luchsohrpinsel.
Gereon hatte Felix losgelassen, um Mathias unterzuhaken und von der Bar wegzuziehen. »Hast du überhaupt schon das Büfett gesehen, Matze? Komm, Lillian! Der Matze braucht was Ordentliches zu essen, die Nacht ist noch lang, und deshalb gehen wir drei Hübschen uns jetzt mal was zwischen die Kiemen schieben, ja?«
Mathias drehte sich zu uns um. »Seid ihr denn noch hier, wenn ich wiederkomme?«
Ich war versucht, die Augen zu schließen, denn da kam er, der Aufprall, und der Boden würde ziemlich hart sein, das wusste ich jetzt schon. Dankenswerterweise sprang Marlene ein, um wenigstens die Sache mit der Kommunikation zu retten. »Wir werden hier dick und doof auf dich warten«, sagte sie und grinste.
Ein kurzes Lächeln noch, dann war er verschwunden. Und ich kam unten an. Ich hatte recht gehabt. Der Boden war hart. Sehr hart.
»Ich habe eigentlich auch Hunger, ihr nicht?« Felix gab erst mir, dann Marlene ein Küsschen auf die Wange. »Ich hatte heute nur die obligatorische Banane, die Frau Hegemann aus Zimmer 62 B immer für mich aufhebt. Aber vielleicht sollte ich auch erst mal was trinken, ihr scheint ja schon einen kleinen Vorsprung zu haben.« Ich musste bei dem Versuch, mich umzudrehen, ein wenig geschwankt sein, denn er griff nach meinem Arm und korrigierte sich: »Oder auch einen größeren Vorsprung …«
Der Barkeeper hob eine Augenbraue. »Uneinholbar, wenn Sie mich fragen«, sagte er.
Sich glücklich fühlen können auch ohne Glück – das ist das Glück.
Marie von Ebner-Eschenbach 1
Immerhin hatte ich keinen Filmriss – ich wusste noch jedes Detail, als ich am nächsten Tag aufwachte. Leider. Bei der Erinnerung an die Heimfahrt schoss mir gleich die Schamesröte ins Gesicht. Zuerst hatte ich Felix zum überstürzten Aufbruch gezwungen und alle seine Einwände – »Aber ich bin doch gerade erst angekommen«, »Wir müssen uns wenigstens verabschieden« – ignoriert, und dann hatte ich verzweifelt versucht, meine komplett verrutschte Welt wieder gerade zu rücken.
»Schlaf mit mir, Felix. Jetzt sofort.«
Felix hatte mir einen entgeisterten Blick zugeworfen. »Kati, ich glaube, das fände der Taxifahrer jetzt nicht so … Nein, Eselchen! Lass den Mantel lieber an.«
Okay, dass wir uns in einem Taxi befanden, hatte ich für einen Moment vergessen. Aber es war mir auch völlig egal. Felix hatte den Arm um mich gelegt, wie um ein krankes Kind, und ich machte mich wieder los, um ihn zu küssen. So wie man jemanden küssen würde, wenn man wüsste, dass in einer Stunde ein Meteorit alles Leben auf der Erde vernichten wird. Für einen winzigen Moment ließ Felix sich mitreißen.
»Hörnse, wennse sisch übergeben muss, werd isch escht sauer«, sagte der Taxifahrer, und da schob Felix mich sanft von sich weg.
»Es ist alles in bester Ordnung«, versicherte er dem Taxifahrer.
Nein, haha, das war es eben nicht. »Küss mich, Felix«, sagte ich, wobei ich Schwierigkeiten mit der richtigen Reihenfolge der Anlaute hatte. Möglicherweise klang es deshalb in etwa so: »Füss kich, Melix.« Oder auch: »Müss fich, Kelix.« Aber den nächsten Satz brachte ich dafür einwandfrei heraus, ein Satz, der auf der nach oben offenen Kitschskala eine glatte Neun erhielt. »Bitte! Ich möchte spüren, dass es uns noch gibt.«
»Isch hatte erst neulisch so einen Fall, da musste das halbe Auto auseinandergebaut werden, um die Schweinerei zu beseitigen«, sagte der Taxifahrer. »Und isch sach Ihnen mal was: Besoffene Weiber sind schlimmer als besoffene Männer.«
Meine Güte, der nervte aber. »Ihre gesammelten Lebensweisheiten interessieren hier niemanden«, fauchte ich ihn an, aber das machte alles nur noch schlimmer. Jetzt fühlte sich der Mann
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