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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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wurde es neben mir laut.
    »Ich wüsste wirklich nicht, was Sie das angeht«, sagte Marlene scharf, und der Reißwolf erwiderte ölig: »Da haben Sie recht, es geht mich gar nichts an. Aber überall auf der Welt schauen die Leute weg, weil sie sich sagen, dass es sie nichts angeht. Die wenigsten haben die Zivilcourage, sich für Kinder einzusetzen. Mir ist klar, dass Sie das nicht positiv aufnehmen, aber mir tut Ihre kleine Tochter leid, das ist alles.«
    Marlene zog es vor, keine Antwort zu geben, was mich erstaunte. Normalerweise war sie die Einzige von uns, die den Reißwolf zur Schnecke machen konnte.
    »Ihnen tut Amelie leid?«, fragte Linda, die mir natürlich gefolgt war, verdattert.
    Dass der kleine Teufelsbraten irgendjemandem leidtun konnte, verblüffte mich ebenfalls. Ich kannte kein Kind, das so zielstrebig, frech und selbstbewusst war wie Amelie. Und keins wurde mehr geliebt.
    Marlene sah aus, als würde sie gleich platzen, hielt den Blick aber hartnäckig auf den Bildschirm geheftet.
    »An der Schwelle zur Pubertät sind Kinder besonders sensibel und benötigen viel Halt«, fuhr der Reißwolf fort. »Das unstete Liebesleben der Mutter – das alles belastet Ihre Tochter nicht nur, es wirkt sich auch nachhaltig auf die Entwicklung aus, und zwar nicht im positiven Sinne. Und glauben Sie mir: ein Liebhaber, der ihr großer Bruder sein könnte und überdies aus einem völlig anderen Kulturkreis stammt …«
     
    Männer mit Gitarren sind Männern mit Ohrenkerzen in jedem Fall haushoch überlegen.
    »Ach, so ein Unsinn«, unterbrach ich sie. »Der Mann ist gerade mal zehn Jahre jünger als Marlene, und er ist viel reifer als so mancher Fünfunddreißigjährige hierzulande. Und er …«
    »… und er singt wunderbar!«, löste Linda mich ab. Samstagabend bei mir in der Küche hatten Javier und sein Freund Emil nämlich zu ihren Gitarren gegriffen. Und es wunderte mich seither nicht mehr, dass Linda Urin-Uwe keine Träne hinterherweinte. »Seine Aura und Marlenes Aura schwingen in perfekter Harmonie …«
    »… und überhaupt ist er das Beste, das Marlene und Amelie passieren konnte …«, sagte ich.
    »Schon gut, ihr beiden.« Marlene hatte sich erhoben. Ihre Unterlippe bebte. »Diese Diskussion ist völlig überflüssig, weil …« An dieser Stelle wurde ihre Stimme ein wenig brüchig – »Javier und ich sind nicht mehr zusammen.«
    »Was?« Linda und ich starrten sie fassungslos an. Ich versuchte mich krampfhaft zu erinnern, ob ich diese Situation schon einmal erlebt hatte, aber – nein! Das hätte ich doch nicht vergessen. Andererseits wusste ich noch, dass es insgesamt Monate gedauert hatte, bis Javier und Marlene wirklich und wahrhaftig und ganz offiziell zusammen waren. Nur hatte ich das Hin und Her damals nicht in vollem Ausmaß mitbekommen, einfach, weil wir noch nicht so eng miteinander befreundet gewesen waren. Und weil es zum Beispiel diesen wunderbaren Eierfärbe-Abend in meiner Küche gar nicht gegeben hatte.
    »Ja. Ich muss eben … erwachsen und … und … verantwortungsbewusst …« Marlene waren die Tränen in die Augen geschossen. »Entschuldigt mich, ich muss mal zur Toilette.« Unter unseren entgeisterten Blicken ging sie zur Tür. Na ja, eigentlich ging sie nur die ersten fünf Schritte, danach rannte sie. Die Tür fiel mit einem ziemlich lauten Knall hinter ihr ins Schloss.
    Frau Zähler-Reißdorf machte ein zufriedenes Gesicht. »Sie muss ja auch an die Agentur denken, vor allem, wenn sie als Geschäftsführerin mit einsteigen will. G & G hat ja auch einen Ruf zu verlieren …«
    »Klappe!«, schnauzte ich. Die Frau machte es einem wirklich schwer, ein besserer Mensch zu sein. »Sie glauben ja gar nicht, wie sehr sich hier alle freuen werden, wenn Sie endlich nach Stuttgart ziehen. Können Sie das nicht einfach ein bisschen beschleunigen?«
    Der Reißwolf glotzte verblüfft. »Woher wissen Sie denn …?«
    »Tja«, sagte Linda an meiner Stelle und warf ihren Kopf in den Nacken. »Kati ist eben so eine Art Orakel von Delhi. Eine moderne Cassiopeia. Falls Sie sich in der griechischen Mythologie auskennen.«

Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.
    Heinrich Heine
    »Kati ist die Abkürzung für Katharina, nehme ich an?«
    »Nein, leider nicht.« Ich grinste schief. »Aber ich weiß nicht, ob wir uns schon gut genug für meinen richtigen Namen kennen, der ist nämlich geheim. Er ist meiner Mutter heute selber peinlich. Und mein

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