Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Geräusch, nur nicht mit vermehrtem Speichelfluss, sondern mit breitem Grinsen. In New York dürfte es jetzt Morgen sein. »Wie gesagt, zerreißen Sie die Einladung in kleine Stücke und freuen Sie sich auf einen schönen freien Samstag!«, sagte ich fröhlich und hakte mich bei meiner völlig verdatterten Schwester ein. »Komm, Eva, wir müssen zu deiner Schwiegermutter, sie wartet sicher schon. Wiedersehen, Frau Luchsenbichler, und seien Sie vorsichtig! Nicht dass Sie noch in den Graben fallen.«
»Spinnst du?«, zischte Eva, als wir auf der Straße waren und ich mein Handy herauskramte. »Jetzt wird sie uns das Leben zur Hölle machen.«
Hallo Kati Kartoffel, musste gerade wieder mal an dich denken. Die Eichhörnchen im Central Park würden dir sicher gefallen. Liebe Grüße, Mathias .
Ich strahlte Eva glücklich an. »Glaub mir, das wird sie so oder so tun!«, sagte ich. »Aber wenigstens hast du jetzt auf der Hochzeit deine Ruhe. Ach, und Eva … das schulterfreie, kurze Kleid ist zwar der Hammer, aber ich finde, du solltest dich doch lieber für das hochgeschlossene mit den Spitzenärmeln entscheiden. Meinst du, das geht noch? Ich habe da nämlich einen Meteorologen kennengelernt, der sagt, an deinem Hochzeitstag wird es arschkalt und verdammt regnerisch. Er kommt da an ganz geheime Daten, die von völlig … äh … geheimen, modernen Geräten stammen. Und … weißt du, ich hab einfach Angst, dass du auf deiner eigenen Hochzeit frierst und auf allen Bildern eine Gänsehaut hast, die man auch noch vom Weltraum aus sehen könnte.«
»Oh! Okay«, sagte Eva, wie immer ohne sich mit misstrauischen Rückfragen aufzuhalten. »Es ist noch nicht zu spät. Heimlich habe ich sowieso mit dem Hochgeschlossenen geliebäugelt. Es hat so was Grace-Kelly-Mäßiges, findest du nicht?« Sie lächelte mich von der Seite an. »Meteorologe, hm? Bringst du ihn mit zur Hochzeit?«
Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein. Ich komme allein.«
Was bedeutete, dass ich im Nähzimmer meiner Mutter (vorher mein Kinderzimmer) unter gruseligen afrikanischen Masken und Schrumpfköpfen übernachten musste. Und dass Onkel Eberhard und alle anderen Verwandten mitleidig meinen Oberarm tätscheln, mich »altes Mädchen« nennen und diese typischen Sprüche von sich geben würden, die erst aufhörten, wenn man auf Beerdigungen anfing, das Gleiche zu sagen: »Nach Adam Riese müsstest du eigentlich die Nächste sein.«
Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst.
Matthias Claudius
Hey, Kati! Kein Netz in der Atacama-Wüste. Auch keine Kartoffeln. Denke trotzdem an dich. Liebe Grüße, Mathias.
Chile schien noch weiter weg zu sein als New York, jedenfalls trudelten von dort seltener SMS ein, und in den Wartezeiten zwischen zwei Lebenszeichen war ich versucht, mir eine kleine Depression zuzulegen. Dabei konnte ich hier und da durchaus beachtliche Erfolge erzielen, die eigentlich gute Laune hätten verursachen sollen. Indem ich zum Beispiel Javiers Band für Evas Hochzeit engagierte. Es war mir schon fast peinlich, wie sehr die Jungs sich freuten. Sie lagen preislich völlig im Budget, obwohl wir die Anreise von Köln einrechnen mussten, und was noch viel besser war: Sie hatten nichts dagegen, bei Onkel Eberhard und Tante Erika im Hobbykeller zu übernachten. (Nach der Hochzeit würde ich ihnen sagen, dass sie sich künftig nicht mehr so unter Wert verkaufen durften!)
Außerdem half ich Frau Baronski bei ihrem Umzug ins Altersheim und hängte gerahmte Bilder von Baba Nbanene formarly known as Muschi über ihrem Bett auf. Wobei das auch nicht unbedingt meine Stimmung hob. Dabei hätte ich mir ruhig eine Scheibe von Frau Baronskis Haltung abschneiden können. Mit Nonchalance und ohne jede Sentimentalität hatte sich die alte Dame vom Großteil ihres Besitzes verabschiedet, nur der Lieblingssessel war mit umgezogen. »In dem will ich nämlich mal sterben«, vertraute sie mir an. Während sie selber tapfer und geradezu heiter ihren ersten Abend im neuen Zuhause bei einem Gläschen Rotwein ausklingen ließ (ich brauchte zwei), musste ich ein bisschen weinen, als ich sie schließlich verließ. Es war einfach nicht gut, im Alter so allein zu sein. Sie hätte liebende Kinder um sich haben müssen und Enkel und Urenkel und – Muschi. Ein Zuhause eben. Aber es hatte nicht mal einen Herrn Baronski in ihrem Leben gegeben. Der Mann, den sie beinahe geheiratet hätte, war im Krieg gefallen. Das war alles sehr, sehr traurig und
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