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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Stündlein hatte Mathias mir gesimst. Mir! Es war ganz klar, dass ich ihm etwas bedeutete. Sonst hätte er seiner Mutter geschrieben. Oder einfach nur gebetet.
    Dann bekam ich es mit der Angst zu tun. Wann war noch gleich dieses entsetzliche Erdbeben in Chile gewesen? Doch nicht etwa in 2006?
    Ich finde dich auch sf2r sß , schrieb ich zurück. Komm nach Hause, in Chile ist es zu gefährlich.
    Daraufhin schickte er einen Smiley.
    Und dann hörte ich vier Tage nichts von ihm.
    Am fünften Tag – dem Freitag vor der Hochzeit – war meine Stimmung daher erneut an einem nie gekannten Tiefpunkt angelangt. Im Internet hatte ich nichts über akute Erdbeben in Chile gefunden, aber das tröstete mich wenig. Ich meine – ein Smiley war doch keine Antwort! Damit konnte man jemanden nicht vier Tage lang kaltstellen. Fünf, mit heute. Draußen regnete es, wie seit Wochen, und Gabi hatte Marlene und mir die Auswertung der Teilnehmerfragebögen des gesamten Monats aufs Auge gedrückt, eine sehr stupide Arbeit. Wir hatten den Stapel schwesterlich untereinander aufgeteilt, und ich hatte einen Deal mit mir selber abgeschlossen: Für jede fertige Kursstatistik durfte ich ein privates Telefonat führen. (Natürlich nur, wenn Gabi nicht gerade im Raum war.)
    Schon in der ersten Kursliste stolperte ich über einen bekannten Namen. Gereon Stirb langsam Westermann, Felix’ bester Freund.
    »Hey, Marlene, wusstest du, dass dein Exmann an dem Seminar Wirtschaftliche Grundlagen des Praxismanagements teilgenommen hat?«
    »Ja«, sagte Marlene. »Ich war heilfroh, dass ich das nicht übernommen habe, bestimmt hätte er mich fertiggemacht, der blöde Besserwisser. Von wegen, was verstehst du schon von Selbstständigkeit, du kriegst ja nicht mal deine eigene Steuererklärung auf die Reihe.«
    »Gabi hat er auch keine Bestnoten gegeben«, stellte ich schadenfroh fest. »Obwohl sie die Fragebögen extra personalisiert hat, weil sie glaubt, dass die Leute sich nur trauen zu meckern, wenn sie anonym sind.«
    2006 war das Jahr, in dem die Blutgräfin Ärzte als Zielgruppe entdeckt hatte und im großen Stil in Sachen Gesundheitsmarketing und Praxismanagement einstieg. Die Aussicht auf Klienten wie die Apotheker- und Ärztebank und namhafte Pharmakonzerne sowie Veranstaltungen in 5-Sterne-Wellnessressorts mit Golfplatz ließ sie sehr großzügig darüber hinwegschauen, dass sich niemand von uns, am wenigsten sie selber, auf diesem Gebiet auskannte. Aber hier zeigte sich wieder einmal, dass sich Erfolg auch mit Selbstbewusstsein und Dreistigkeit erzielen ließ.
    »Ist doch völlig egal, ob es sich um eine Arztpraxis handelt oder um ein Blumengeschäft – Tabellenkalkulationen sind Tabellenkalkulationen, Marketing ist Marketing«, wiederholte Gabi gebetsmühlenartig, wenn sie uns zwang, aus dem Nichts Programme für ärztliches Qualitätsmanagement zu entwerfen oder eine Kursreihe zum Thema »Gestalten und Präsentieren medizinischer Vorträge mit Powerpoint«. Die besten Veranstaltungen – also die in den schönsten Hotels – pflegte sie selber zu übernehmen, was aber nicht hieß, dass sie auch die Vorarbeit selber machen wollte. Immerhin konnten wir sie davon überzeugen, von Fortbildungen wie »Klinische Endokrinologie« oder »Impfprävention« Abstand zu nehmen, obwohl sie behauptete, auch das unterrichten zu können, mit der richtigen Mischung aus guter Vorbereitung und Bluff.
    Beim nächsten Fragebogen stutzte ich schon wieder über einen Namen. Lillian Berghaus. Tsss. Was hatte LILLIAN denn in einem Seminar über die wirtschaftlichen Grundlagen von Arztpraxenmanagement verloren? Als Anästhesistin würde sie sich ja wohl kaum selbstständig machen wollen. (Obwohl – vielleicht wäre das noch eine Marktlücke: Wollen Sie mal abschalten? Dann lassen Sie sich von uns einfach ein paar Stündchen in Narkose legen – garantiert ohne chirurgischen Eingriff … ) Aber vielleicht hatte sie auch einfach nur Lust auf drei Tage im Luxushotel gehabt, und die Krankenhausverwaltung hatte die Fortbildung genehmigt, ohne genauer hinzuschauen … Neugierig geworden schlenderte ich zu Linda hinüber und bat sie, die betreffenden Kursdaten für mich aufzurufen. Wie ich vermutet hatte: Das Seminar hatte in einem sehr eleganten Hotel im Spreewald stattgefunden, mit Vollverpflegung und einem Wellnesspaket, das man für nur schlappe hundertzwanzig Euro zusätzlich buchen hatte können. Und wenn man wollte, gab es Zimmer mit einer Sauna … und guck

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