Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
denn so hatte ich Zeit gehabt, allerlei finstere Gedanken zu hegen, vor allem, was Felix, Lillian und Gereon anging, und das hatte vermutlich direkt zu diesem Albtraum geführt.
Bestimmt hatten auch die rasierten Augenbrauen etwas zu bedeuten, aber so gut kannte ich mich mit Traumsymbolik nicht aus.
Am Abend hatte ich noch bei Eva angerufen, vorgeblich um zu hören, ob sie schon aufgeregt sei (»Ein bisschen«, sagte sie), aber in Wirklichkeit, um sie etwas sehr Wichtiges zu fragen. »Angenommen, du würdest erfahren, dass jemand von seiner Freundin betrogen wird, und zwar mit seinem allerbesten Freund – würdest du ihm das sagen?«
»Bist du mit dem Jemand befreundet? Oder verwandt?«, hatte Eva zurückgefragt.
»Ähm … gewissermaßen beides.« Oder genau genommen nichts von beidem.
»Dann musst du es ihm sagen! Bevor er es von alleine erfährt.«
»Aber … vielleicht würde er es niemals erfahren … und einfach glücklich und zufrieden weiterleben?«
»Während seine Freundin ihn mit seinem besten Freund betrügt?«
»Vielleicht war es nur eine einmalige Sache?«
»Warum machst du hinter jeden Satz ein Fragezeichen? Ehrlich, Kati, so was kann man einem Freund nicht vorenthalten, auch nicht, um ihn zu schonen.«
Schon klar, dass sie recht hatte. Wie immer. Andererseits … war Felix ja gar nicht mein Freund. Jedenfalls nicht in diesem Leben. Und ich fand Menschen, die sich ungefragt in die Angelegenheiten anderer Leute einmischten, grauenhaft. Mal abgesehen davon, dass ich gar nicht wusste, wie ich das Felix beibringen sollte (»Sakrament, Ihrä Freindin, ja, die is a scheen’s Früchtchen, die!«), konnte es ja durchaus auch sein, dass es alles irgendwie sein Gutes hatte. Nach dem Lerngeschenkprinzip von Linda, von wegen, alles im Leben hat einen höheren Sinn und dient einem tieferen Zweck und … ach, Bullshit. Verfluchtes Gedankenkarussell! Kein Wunder, dass ich Kopfschmerzen hatte. Und die konnte ich heute nun wirklich nicht gebrauchen. Ich musste strahlend schön aussehen (schließlich war das mein erstes richtiges Date mit Mathias) und voll konzentriert sein. Also Schluss mit der Grübelei und Traumdeuterei.
Ich warf eine Kopfschmerztablette ein, legte mir zwei Augenkompressen auf, zählte von zwanzig rückwärts und schlief tatsächlich wieder ein.
Acht Stunden später saß ich neben Mathias in der Kirchenbank und heulte. Aber nur vor Rührung. Weil Eva und Robert da vorne am Altar so wunderschön und jung aussahen und weil der Pfarrer so berührende und weise Worte fand. Hatte er die beim letzten Mal auch gesagt? Ich konnte mich gar nicht erinnern – wahrscheinlich weil all die Katastrophen des Tages in meinem Gedächtnis so viel präsenter waren. Meine Kopfschmerzen waren verschwunden, und die düsteren Gedankenwolken hatten sich verzogen. Dafür goss es draußen wie aus Eimern, aber darauf hatte ich die Familie ja vorbereitet. Das trübe Wetter erhöhte die romantische Wirkung der vielen Kerzen, mit denen die Kirche ausgeleuchtet war, beträchtlich, und der Blumenschmuck sah fantastisch aus.
Als meine Schwester mit leiser Stimme »Ja, ich will« sagte und Robert ihr den Ring auf den Finger schob, musste ich laut schluchzen. Gott, war das schön! Warum hatten Felix und ich eigentlich nicht kirchlich geheiratet? Das hier war doch viel romantischer als auf dem Standesamt, mit einem Beamten, der auf Kölsch schlechte Rabbi-Witze erzählte. Ich hätte sicher auch hübsch ausgesehen in so einem weißen Kleid und Felix in einem schicken Anzug.
Würde er jetzt Lillian heiraten? Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie die Sache anging. Vermutlich würde sie eine von diesen gruseligen Hochzeitsplanerinnen engagieren, tausend wichtige Leute einladen (von denen die eine Hälfte einen Adelstitel, die andere Hälfte einen Doktortitel besaß, wahlweise gekauft oder angeboren), ein Schloss mieten und ein Streichorchester oder Take That engagieren, und Felix würde vor Langeweile sterben, was ein Glück wäre, weil er dann nicht mitbekommen würde, dass sie ihn noch in der Hochzeitsnacht mit Gereon betrog …
Ich schluchzte noch ein bisschen lauter, und Mathias tastete nach meiner Hand. Unter Tränen lächelte ich ihn an. Was tat ich hier eigentlich? Dass Mathias hier neben mir saß, war doch das Allerbeste an dieser Hochzeit! Und ich blöde Kuh hatte nichts Besseres zu tun, als diesen Traum damit zu ruinieren, dass ich über Lillian und Felix nachgrübelte? Ab jetzt würde ich mich auf
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