Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
mich nicht wiedererkennen. Ich muss das jetzt gestehen, da ich mit meinen Schuldgefühlen nicht mehr länger leben kann.«
Diese Einführung verriet mir nicht, über welchen Mord wir sprachen, denn alle drei Prostituierten waren in ihren Apartments erstochen worden. Bis jetzt hatte uns Herbert Ritter nichts erzählt, was er nicht auch aus jeder Tageszeitung hätte wissen können. Nicht einmal den Namen seines Opfers kannte er.
So absurd es klingen mag, immer wieder kommen Männer oder Frauen zur Polizei, um einen Mord zu gestehen, den sie nicht begangen haben, sei es aus krankhafter Geltungssucht oder einem unbewussten, fehlgeleiteten Bedürfnis, sich von Schuldgefühlen zu befreien. Ich selbst hatte das bis dahin schon zweimal erlebt und wusste, welche Arbeit es macht, den Wahrheitsgehalt eines solchen »Geständnisses« zu überprüfen. Was wir brauchten, war also konkretes Täterwissen und keine allgemeinen Floskeln. Daher nahmen mein Kollege und ich den Geständigen quasi ins Kreuzverhör und stellten ihm in schneller Folge eine Frage nach der anderen: nach dem Aussehen der Frau, der Einrichtung des Apartments, dem Tatablauf. Schon bald geriet Herbert Ritter noch mehr ins Stottern und begann zu schwitzen. Und bei seinen Antworten rutschte er unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Bereits nach wenigen Minuten war ich mir sicher: Herbert Ritter hatte nicht eine der drei Prostituierten getötet, sondern alle drei. In seiner Aufregung hatte er Details der einzelnen Taten durcheinandergebracht: »Die Frau hatte nur ’nen BH und Strapse an. Alles in Schwarz und dazu hohe Absätze. Ich hatte nichts an Waffen mitgenommen, ging ins Badezimmer und wollte schauen, womit ich sie niederschlagen konnte. Auf dem Flur stand eine Flasche mit einem Miniaturschiff drin. Die habe ich genommen und ihr sofort über den Kopf gehauen.«
Das passte nicht zusammen. Zwar hatte eines der Opfer, Ramona Braun, schwarze Reizwäsche getragen, doch sie war sofort mit einem Messer angegriffen und erstochen worden. Mit einer Flasche niedergeschlagen worden war Violetta Winter.
Als wir Herbert Ritter auf diese Ungereimtheit ansprachen und ihm vorhielten, er hätte drei Prostituierte und nicht nur eine ermordet, druckste er zunächst herum, wurde nachdenklich und starrte vor sich hin. Dann, nach nicht sehr langem Zögern, erweiterte er sein Geständnis: »Ja, ich war’s.«
Nachdem das heraus war, redete er aufgezogen wie ein Uhrwerk, quasi ohne Punkt und Komma, so dass ich manchmal Schwierigkeiten mit dem Mitschreiben hatte. Wir nutzten die Gelegenheiten, um die V ernehmungsstrategie der freien Rede anzuwenden. Eine solche Taktik gibt es tatsächlich, sie ist allerdings nicht sonderlich kompliziert, jedoch sehr effektiv und besitzt einen hohen Beweiswert. Im Grunde hält der Ermittler einfach den Mund und lässt den Zeugen, Verdächtigen oder Geständigen unbeeinflusst seine Geschichte erzählen.
Und genau das tat Herbert Ritter. Je länger er sprach, desto selbstbewusster und souveräner wurde er. Sein Stottern verschwand vollkommen. An diesem Tag dauerte die Vernehmung bis Mitternacht, und als wir am folgenden Mittag die Fortsetzung beendeten, hatte ich auf siebenunddreißig eng beschriebenen Seiten Herbert Ritters Geständnis protokolliert. Ein scheinbar offenes und detailliertes Zeugnis mit den Gründen, weshalb und wie er zum dreifachen Mörder geworden war.
Dem ersten Mord gehen zwei missglückte Versuche voraus. »Ich war arbeitslos, Weihnachten stand vor der Tür, und ich brauchte dringend Geld. Meine Freundin nervte, weil wir Geschenke kaufen mussten.« Berauben und töten will er jeweils eine alte Frau. Doch die eine lässt ihn gar nicht erst in die Wohnung, die zweite bekommt überraschend Besuch von ihrer Tochter.
In seiner Geldnot kommt er auf die Idee, »die Anzeigen von Huren in der Zeitung durchzulesen und auf die Telefonnummern zu achten. Die verraten ja den Stadtteil.« Nicht Hassgefühle, sondern pragmatische Erwägungen veranlassen ihn, seine Opfer in diesem Milieu zu suchen. »Ich hab nichts gegen Prostituierte. Ich bin häufig bei ihnen als Freier gewesen. Die drei Frauen kannte ich nicht. Für mich war nur wichtig, dass ich die Frauen ohne Probleme in meine Gewalt bekomme – die lassen doch jeden rein.«
Die ersten beiden Tatorte wählt Herbert Ritter mit Bedacht, um einen großen Abstand zu seiner Wohnung einzuhalten. Als Ramona Braun am Telefon ihren Namen und ihre Anschrift nennt, kündigt er ihr für den
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