Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
ehrt mich umso mehr, dass Ihr Euch an mich erinnert. Ich möchte Euch erneut zu Diensten sein. Bitte begleitet mich zum Palast, bevor Ihr das Konsulat besucht.«
»Gibt es ein Problem?«
»Unter Umständen, aber ich möchte die Erklärung Prinz Sayyid überlassen. Er freut sich darauf, Euch zu sehen.«
Acht Männer hatten Saíd begleitet. Es waren Askaris – eine Bezeichnung, die vor Jahren vom Großvater des Prinzen, Sultan bin Hamid, eingeführt worden war, um jene Afrikaner hervorzuheben, die Militärdienst für ihn leisteten. Mithilfe geschwungener Stöcke hielten sie nun die Horden der Schaulustigen, Bettler und Händler von der Gruppe fern, als diese sich in die Stadt bewegte.
»Seine Hoheit ist krank?«, erkundigte sich Burton.
»Die Pocken«, antwortete Saíd. »Aber dank Allahs Gnade ist das Schlimmste überstanden.«
Sie betraten eine lange, gewundene Gasse, einen von Hunderten unberechenbaren und ungeordneten Wegen, die sich wie ein verworrener Strang durch die Stadt schlängelten. Einige der größeren Straßen verfügten über Abflussrinnen, die meisten jedoch nicht. Der Boden war übersät mit schwärenden Verunreinigungen, Haufen von Unrat und dem Geröll eingestürzter Mauern. Nackte Kinder spielten in diesem Dreck, Geflügel und Hunde streunten darin herum, und Esel und Vieh spritzten ihn zu beiden Seiten an die Mauern der Gebäude.
Der Gestank, der von den Straßen aufstieg, vermengte sich mit dem allgegenwärtigen Geruch von faulendem Fisch und Kopra und ließ die Luft beinah ungenießbar für die Besucher dieses Ortes werden, die sich Taschentücher vor die Nase drückten.
Doch nicht nur ihr Geruchssinn, auch ihre Augen wurden bestürmt. Anfangs war es die Architektur, die Burtons Gefährten verwirrte, denn sie hatten etwas Derartiges noch nie gesehen. Das aus Korallenfels errichtete, mit Kalk gemörtelte Mauerwerk der Behausungen mit ihren geschlossenen Läden und den öffentlichen Einrichtungen zu beiden Seiten der Gassen ließ keine einzige gerade Linie erkennen. Die Anordnung der Gebäude war völlig unregelmäßig – manchmal waren die Freiräume dazwischen so weitläufig, dass man sie nicht als Straßen erkennen konnte, dann wieder so schmal, dass man sie kaum zu passieren vermochte.
Über jedem Eingang hingen Zettel, auf die man Sätze aus dem Koran gekritzelt hatte.
»Wofür sind die?«, fragte Krishnamurthy.
»Um Hexerei abzuwehren«, klärte Burton ihn auf.
Die Bewohner Sansibars schienen ein verwirrendes, lärmendes Gemisch aus Afrikanern und Arabern, Chinesen und Indern zu sein. Die Briten sahen unter ihnen Seeleute, Marktschreier, Tagelöhner, Straßenhändler, Dattelbauern, Fischer und Müßiggänger. Sie sahen Reiche und Arme, Krüppel und Bettler, Freudenmädchen und Diebe.
Und sie sahen Sklaven.
Swinburne war der Erste, der den berüchtigtsten Wirtschaftszweig der Insel sichtete. Als er und seine Freunde durch den überfüllten, chaotischen Salzbasar geführt wurden, wo es vor moschusartigen, würzigen Düften nur so strotzte und wo Saíds Männer ihre Stöcke noch entfesselter schwangen, stieß der kleine Dichter einen lauten Aufschrei der Entrüstung aus. Burton, der dem entsetzten Blick seines Gehilfen folgte, sah eine Kolonne aneinandergeketteter Sklaven, die mit der Peitsche vorangetrieben wurden. Sie näherten sich ihnen durch die Menschenmenge zur Rechten.
Swinburne tobte: »Das ist grauenhaft, Richard! Warum hat unsere Marine dem keinen Riegel vorgeschoben?«
»Sie kann nicht überall zugleich sein«, gab der Agent des Königs zurück. »Trotz unserer Erfolge an der Westküste Afrikas besteht dieser elende Handel im Osten unvermindert fort.«
In seiner Wut und Hilflosigkeit gestikulierte der Dichter heftig und wollte sich zu den Sklaven hindurchwühlen, doch er wurde von seinem Freund zurückgehalten, der ihm riet: »Sei kein Narr, Algy. Über vierzigtausend Sklaven gelangen jedes Jahr durch Sansibar. Du änderst gar nichts, wenn du jetzt Schwierigkeiten für uns heraufbeschwörst.«
Mit kläglicher Miene beobachtete Swinburne, wie die gefangenen Männer und Frauen vorbeigescheucht wurden wie Tiere. Danach war er lange Zeit ungewöhnlich still.
Saíd führte sie auf die Hauptstraße, die zum Palast verlief.
Als sie sich dem blockartigen Bauwerk mit seinen hohen Fenstern näherten, machte Thomas Honesty eine Bemerkung über die dichten violetten Wolken, die sich plötzlich am südöstlichen Himmel zusammengebraut hatten.
»Das ist Msika «,
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