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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Wände getäfelt waren. Etwas später einmal kam sie auf ihre Freundin zurück, und in dem zögernden Ton und mit der selbstverständlichen Miene, mit der man jemanden nennt, in dessen Gesellschaft man am Abend zuvor gespeist hat, ohne vorher seinen Namen gehört zu haben, den die Gastgeber aber offenbar für jemand so Berühmten hielten, daß man schon wissen werde, von wem man spricht, sagte sie: »Sie hat ein Eßzimmer … aus dem … aus dem achtzehnten Jahrhundert!« Übrigens fand sie es schauderhaft, kahl, als sei das Haus nicht fertig geworden, den Frauen stand es nicht zu Gesicht, das setzte sich sicher nicht durch! Endlich ein drittes Mal, als sie wieder darauf zurückkam, zeigte sie Swann die Adresse des Mannes, der das Eßzimmer gemacht hatte und den sie auch gern kommen lassen wollte, sobald sie einmal Geld hätte, um zu sehen, ob er ihr nicht eines einrichten könne, sicher nicht genau das gleiche, aber eines, von dem sie träumte und für das leider die engen Dimensionen ihres Hauses nicht recht ausreichten, mit hohen Anrichten, Renaissancemöbeln und Kaminen wie im Schloß von Blois. An jenem Tag ließ sie vor Swann auch durchblicken, was sie von seinem Haus am Quai d’Orléans hielt; als er an Odettes Freundin tadelte, daß sie einem antiken Einrichtungsstilhuldige, aber einem unechten und nicht einmal Louis-Seize, denn, so sagte er, wenn das jetzt auch nicht gemacht wird, kann es doch reizend sein, antwortete sie: »Du kannst ja nicht verlangen, daß sie wie du unter lauter kaputten Möbeln und abgenutzten Teppichen lebt«, wobei ihr bürgerlicher Sinn für Wohlanständigkeit sich doch noch als stärker erwies als die Kunstliebhaberei der Kokotte.
    Menschen, die auf Antiquitäten Jagd machten, Gedichte liebten und rein materielle Interessen verschmähten, von Ehre und Liebe träumten, stellten in ihren Augen eine der übrigen Menschheit überlegene Elite dar. Es war gar nicht nötig, daß man wirklich solche Gefühle hegte, wofern man sie nur im Munde führte; als ein Mann ihr beim Abendessen gestanden hatte, daß er gerne flaniere, sich die Finger in alten Lädchen schmutzig mache, daß er niemals in diesem von kommerziellen Interessen beherrschten Jahrhundert zu Ansehen kommen werde, denn er sei nun einmal von jedem Eigennutz frei und passe damit nicht in diese Zeit, sagte sie, als sie nach Hause kam: »Was für ein wundervoller Mensch, so zartsinnig, ich hätte das gar nicht von ihm gedacht!«, und sie fühlte sich auf einmal für ihn von den freundschaftlichsten Gefühlen beseelt. Wenn man aber wie Swann solche Neigungen zwar besaß, jedoch nicht davon sprach, ließ es sie völlig kalt. Wohl mußte sie anerkennen, daß Swann in Gelddingen großzügig sei, doch mißmutig setzte sie hinzu: »Ach, bei ihm ist das etwas anderes«; tatsächlich wurde ihre Phantasie nicht durch die praktische Betätigung der Selbstlosigkeit angesprochen, sondern nur durch das betreffende Vokabular.
    Da er spürte, daß er oft dem nicht genügte, was sie sich erträumte, suchte er wenigstens zu erreichen, daß sie sich wohl bei ihm fühlte, und trat absichtlich ihren trivialen Vorstellungen nicht entgegen, jenemschlechten Geschmack, den sie durchweg bewies und den er im übrigen liebte wie alles, was von ihr kam; ja, diese selben Dinge entzückten ihn schließlich sogar, weil sie lauter persönliche Züge darstellten, dank denen diese Frau für ihn greifbar, sichtbar wurde. Wenn sie also glücklich aussah, weil sie zur Reine Topaze 1 gehen konnte, oder ihr Blick ernst, sorgenvoll und eigensinnig wurde aus Angst, sie könne das Blumenfest oder auch nur die Teestunde im »Thé de la Rue Royale« 2 mit Muffins und Toast versäumen, deren regelmäßiger Besuch ihr für die Aufrechterhaltung ihres Rufs als elegante Frau unerläßlich zu sein schien, war Swann davon entzückt, wie wir es angesichts der Natürlichkeit eines Kindes oder des sprechenden Ausdrucks bei einem Bildnis sind, und sah so deutlich die wahre Seele seiner Geliebten auf ihrem Gesicht erscheinen, daß er nicht widerstehen konnte, sie darauf mit einem Kuß zu berühren. »Ah! Sie möchte auf das Blumenfest geführt werden, die kleine Odette, sie will sich bewundern lassen; ja, was soll man da tun, sie wird eben hingeführt.« Da Swann etwas kurzsichtig war, mußte er sich damit abfinden, zu Hause bei seinen Arbeiten eine Brille, und wenn er in Gesellschaft ging, ein Monokel zu tragen, das ihn weniger entstellte. Als sie es zum erstenmal in seinem Auge sah,

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