Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
der erste Herausgeber des Contre Sainte-Beuve , hat in Prousts Nachlaß 75 große lose Blätter mit den entsprechenden Entwürfen gefunden und zwei Episoden, »Robert und das Zicklein« und »Hortensien der Normandie«, in seine Ausgabe des Contre Sainte-Beuve aufgenommen. Seither sind die Blätter verschollen. In der zitierten Aufzählung weist Bretteville auf den späteren Swann, Villebon auf das spätere Guermantes; Robert, Marcels Bruder, wird zwar später nicht wiederaufgenommen, doch mit dem Drama des Zubettgehens, den beiden Gegenden und den aristokratischen Kreisen sind die Entwürfe von 1908 die erste eigentliche Vorstufe der Recherche .
    Als eine weitere Vorstufe zu Prousts Roman können die zwischen dem 22. Februar und dem 21. März 1908 im Figaro erschienenen Pastiches zur Lemoine-Affäre aufgefaßt werden. Proust hat den Pastiche als therapeutische Übung bezeichnet, dank der die drückende Last literarischer Vorbilder abgeworfen und die eigene Kreativität freigesetzt werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, daß in der Recherche , dem Ergebnis von Prousts eigener Kreativität, der Pastiche keinen Platz mehr hätte. Im Gegenteil: innerhalb der Prousts Romantext zugrundeliegenden Vielstimmigkeit bildet er ein wesentliches Stilmittel. Während die Entwürfe aus dem Jahre 1908 die Recherche in bezug auf einzelne Szenen vorbereiten, erprobt Proust mit den Pastiches eine bestimmte Textstruktur: jene des intertextuellen Dialogs, des dialogischen Prinzips.
    Unablässiges Aneinanderreihen von Szenen und virtuoses Imitieren anderer Autoren sind jedoch keine ausreichenden Mittel, um die immer stärker andrängende eigene Kreativität aufzufangen und umzusetzen. »Ich habe«, schreibt Proust am5. oder 6. Mai 1908 an Louis d’Albufera, »Folgendes in Arbeit: eine Studie über den Adel / einen Pariser Roman / eine Studie über Sainte-Beuve / eine Studie über die Frauen / eine Studie über die Päderastie (nicht leicht zu publizieren) / eine Studie über die Kirchenfenster / eine Studie über die Grabplatten / eine Studie über den Roman.« Nähere Auskunft über all diese Projekte und über den Fortgang von Prousts Arbeit gibt das erwähnte Carnet de 1908 . In dieser Agenda notiert Proust Gelesenes, Gesehenes, Erlebnisse, Ideen und baut einzelne Einträge zu eigentlichen Entwürfen aus. Dabei bilden sich zwei miteinander verbundene Schwerpunkte: Homosexualität und Sainte-Beuve. Vom Sommer an kreisen zahlreiche Notizen in Prousts Agenda um die Figur eines Baron de Gurcy (der spätere Baron de Charlus). Ohne Zweifel steht die Auseinandersetzung Prousts mit der Problematik der Homosexualität im Zusammenhang mit der Loslösung von der Mutter, jener Instanz, vor der sich Proust verpflichtet fühlte, das gesellschaftliche Tabu aufrechtzuerhalten. Ausgelöst wurde sie jedoch, wie Mariolina Bongiovanni Bertini gezeigt hat, durch den Roman Romain Rollands, La foire sur la place , der 1908 in den Cahiers de la Quinzaine erschienen ist. Rolland zeichnet in diesem Roman vom Homosexuellen ein durchwegs negatives Bild, das auf Sainte-Beuves Vorurteile gegen alles »Schwächliche«, alles »Unnatürliche« zurückgeht.
    Innerhalb von Prousts Auseinandersetzung mit Sainte-Beuve hat die Homosexualitätsproblematik jedoch nur sekundäre Bedeutung. In erster Linie zielt Prousts Kritik auf Sainte-Beuves Methode, wie sie Paul Bourget in einem Artikel über Charles de Spoelberch de Lovenjoul, der am 7. Juli 1907 im Figaro erschienen ist, charakterisiert und wie sie Proust selbst danach in seinem Sainte-Beuve-Pastiche vom 14. März 1908 (auch im Figaro ) karikiert hat. Proust wirft Sainte-Beuve vor, bei der kritischen Beurteilung eines Autors nicht vom Werk, sondern von der Person ausgegangen zu sein und dabei alle wirklich Großen seiner Zeit verkannt zu haben. Gewiß auch aus persönlicher Betroffenheit fordert Proust, man solle nicht den Menschen (und damit den oft als effeminierten Snob verschrienen Marcel Proust), sondern jenes Subjekt, jenes Ichbeurteilen, das den schöpferischen Grund eines Werks ausmacht (eines Werks, das zu schreiben sich Proust nun bereit fühlte). Wie die Briefe aus der zweiten Hälfte des Jahres 1908 zeigen, hofft er eine Zeitlang, in der Auseinandersetzung mit Sainte-Beuve den Rahmen gefunden zu haben, der es ihm erlauben würde, all die sich anstauenden, heterogenen Projekte zu umfassen und zu ordnen. Allerdings schwankt er dabei zwischen der Form eines theoretischen Essays und jener einer

Weitere Kostenlose Bücher