Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Kritiker von Le Temps , der schon beim Erscheinen von Swann auf mangelnde Komposition hingewiesen hatte, sieht in Guermantes I einen Übergangsband und charakterisiert den Autor als snobistisch und feminin (Artikel vom 4. November 1920). Proust, der wie immer das Echo auf sein Werk genau verfolgt, reagiert sogleich: »Wie konnten Sie, da Sie doch wußten, daß ich Zeit meines Lebens Herzoginnen von Guermantes gekannt habe, nicht verstehen, welche Mühe es mich kostete, mich in jemanden hineinzuversetzen, der keine kennt und welche kennenlernen möchte.« (Brief vom 6. oder 7. November 1920) Und zum zweiten Vorwurf in demselben Brief: »Von feminin führt ein einziger Schritt zu effeminiert. Diejenigen, die beim Duell meine Sekundanten waren, können Ihnen erzählen, ob ich die Laschheit eines Effeminierten habe.« Léon Daudet dagegen, dem der Band gewidmet ist, sieht es anders. Für ihn hat Proust die satirische Kraft der großen französischen Moralisten: »In einigen Tagen«, schreibt er in einem Artikel vom 8. Oktober 1920, »erscheint im Verlag der Nouvelle Revue Française ein neues Buch von Marcel Proust, Le côté deGuermantes […]. Es ist den vorangegangenen Bänden keineswegs unterlegen, im Gegenteil; es stellt meiner Ansicht nach sogar einen Fortschritt dar. Selten ist ein Schriftsteller in der komischen und genauen Analyse der Charaktere so weit gegangen, ohne die Linie der Gesellschaftssatire aus den Augen zu verlieren, die den Grund dieses ergötzlichen Werkes bildet. Es ist ein durchaus eigenständiges Werk, und doch verbunden mit der ganzen Ahnenreihe unserer besten Moralisten von Montaigne bis zu La Bruyère und Saint-Évremond.« Andere Freunde Prousts – Mme. Straus, Lucien Daudet, Jacques-Émile Blanche, Cocteau – haben ihre Begeisterung über Guermantes brieflich geäußert; nur Louis d’Albufera und Mme. de Chevigné, die sich in Saint-Loup beziehungsweise der Herzogin von Guermantes porträtiert glaubten, waren empört.
Mit Prousts Figuren und ihren Vorbildern befassen sich u. a.: Bibesco [29], Maurois [42] oder Adams [24]; mit der Bedeutung der Gesellschaft und des Snobismus bei Proust: Hörisch-Helligrath [38], Raimond [48], Revel [49] oder Zima [54]; mit der Gesellschaft als einem Zeichensystem: Deleuze [34]; mit der Bedeutung der Namen: Barthes [27] oder Gaubert [47]; mit der Entstehung von Guermantes : Alden [25], Bardèche [26], Feuillerat [35]. Neuere Forschungsergebnisse zu Guermantes finden sich in einigen Nummern des Bulletin de la société des amis de Marcel Proust [30] und im Bulletin d’informations proustiennes [31].
Die erste deutsche Übersetzung von Le côté de Guermantes stammt von Walter Benjamin und Franz Hessel. Sie erschien 1930 unter dem nicht von den Übersetzern stammenden Titel Die Herzogin von Guermantes im Piper Verlag in München. Die vorliegende Ausgabe folgt der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens aus dem Jahr 1955: Die Welt der Guermantes . Der Text wurde revidiert und stellenweise neu gefasst.
Der erste durchgehende Kommentar zu Guermantes stammt von Alberto Beretta Anguissola [28]. Im Dokumentarischen und auch im Interpretatorischen stellt er eine Leistung dar, die ihresgleichen sucht. Nur stellenweise konnten wir darauf hinweisen, wie viel wir ihm verdanken. Nützliche Dienste leisteten auchdie neueren Kommentare von Elyane Dezon-Jones [4], Thierry Laget und Brian Rogers [3] sowie von Bernard Brun [6].
Die Arbeit an diesem Band wurde durch eine Zuwendung der Stiftung für wissenschaftliche Forschung an der Universität Zürich unterstützt.
Zürich, im März 1996
RESÜMEE
GUERMANTES
I
Neue Wohnung in einem Nebengebäude des Guermantesschen Stadtpalais’. Anpassungsprobleme von Françoise (7).
Das Alter der Namen: Poesie von Orts- und Personennamen (9). Zauber des Namens Guermantes. Ein Phantasiebild löst das andere ab (10). Erinnerung an frühere Bilder: Mme. de Guermantes in der Kapelle Gilberts des Bösen (11), der Marschall von Guermantes (12). Sieben oder acht weitere Bilder: das mittelalterliche Schloß, das Stadtpalais, die Festlichkeiten (12).
Françoise, ihr Laufbursche und der Kammerdiener: Blick auf die Guermantes (17). Das rituelle Mittagessen (18). Françoise erinnert sich an Combray (19). Jupien (20). Gespräche über die Guermantes (25). Erinnerungen an Méséglise, Eulalie, Madame Octave (29). Ende des Mittagessens (32).
Das Palais Guermantes verliert seine mittelalterliche Aura (33). Die Fußmatte im Vestibül der
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