Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
beschäftigte Proust diesen bei sich als Sekretär. Zusammen mit seiner Freundin, die er als seine Frau ausgab, wohnte Agostinelli bei Proust, der es ihm ermöglichte, die Fliegerei zu erlernen. Im Sommer verbrachte Proust einige Tage mit Agostinelli in Cabourg, kehrte aber von einem Tag auf den anderen nach Paris zurück. Im Dezember verließ Agostinelli überraschend Paris, worauf Proust einen anderen Freund, Albert Nahmias, mit einem Bestechungsauftrag zu Agostinellis Vater nach Nizza und Monaco entsandte. Agostinelli aber, der sich unter dem Namen »Marcel Swann« in einer Pilotenschule eingeschrieben hatte, stürzte am 30. Mai 1914 vor Antibes ins Meer und fand dabei den Tod.
Die Ereignisse um Agostinelli haben die ursprünglich geplante Architektur der Recherche grundlegend verändert. Anstatt die Druckfahnen von Le Côté de Guermantes zu korrigieren, die Grasset im Frühjahr 1914 hergestellt hatte, entwarf Proust einen völlig neuen, Albertines Gefangenschaft, Flucht und Tod sowie Marcels Trauerarbeit, sein Gedenken und Vergessen Albertines erzählenden Romanteil. In der Flüchtigen ist die Nähe zuAgostinelli besonders deutlich wahrzunehmen. Nicht nur die Handlung, sondern auch der Text des Romans ist dem Leben nachgebildet. So entsprechen beispielsweise die Telegramme Marcels an Robert de Saint-Loup während dessen Mission bei Madame Bontemps genau den Telegrammen Prousts an Albert Nahmias während dessen Mission bei Agostinellis Vater, und die Briefe Marcels an Albertine zitieren teilweise wörtlich die Briefe Prousts an Agostinelli, nur geht es im Roman um den Kauf einer Jacht, im Leben dagegen um den Kauf eines Flugzeugs.
Nach den ersten Entwürfen schreibt Proust 1915 eine zusammenhängende Fassung des Albertine-Teils, in dem nun auch das Venedig-Kapitel seinen Platz findet. Wie zahlreiche andere Szenen und Episoden seines Romans bildetet Venedig während des Entstehungsprozesses eine Art von schwimmender Insel, die Proust bald hier, bald da zu verankern sucht. In den Entwürfen war Venedig lange Zeit der Ort, an dem sich Marcel plötzlich an die tote Großmutter erinnert. Nachdem Proust diese zentrale Szene der Recherche in den Band Sodom und Gomorrha und nach Balbec verlegt und damit dem Venedig-Kapitel seinen Handlungszusammenhang genommen hat, integriert er nun dieses – schlecht und recht – in den Albertine-Teil. So hat beispielsweise das in dieser Arbeitsphase entwickelte Fortuny-Leitmotiv die Aufgabe, Venedig und Albertine miteinander zu verbinden.
Die eingangs erwähnte Manuskriptfassung datiert, was die Flüchtige betrifft, von 1916-1917, doch hat Proust bis zum Frühjahr 1922 an seinem Manuskript weitergearbeitet. Längere Zusätze sind in einer Reihe separater Hefte notiert. Mit wachsender Berühmtheit wurde Proust auch immer häufiger von Zeitungen und Zeitschriften um Vorabdrucke aus seinem Roman angegangen. Zum Leidwesen und Ärger seines Verlegers hat sich Proust nicht mit den Vorabdrucken in der Nouvelle Revue française zufriedengegeben. So trennte er 1919 das Venedig-Kapitel aus dem Manuskript heraus, tilgte alle Bezüge auf die Romanhandlung und überließ es der Zeitschrift Les Feuillets d’art , wo es am 15. Dezember 1919 unter dem Titel »À Venise« erschienen ist. Unter dem Titel »Les Mille et un Matins. Mme de Villeparisis à Venise« war am 11. Dezember 1919, einen Tag nach derVerleihung des Prix Goncourt, in der Zeitung Le Matin bereits ein Auszug daraus erschienen. Etwas später hat sich Proust darum bemüht, seinen Albertine-Roman in drei Teilen bei Les Œuvres libres zu publizieren. Zwei Teile sind erschienen, »Jalousie« (1921) und »Précaution inutile« (1923), dann gelang es Gallimard, dem Unternehmen ein Ende zu bereiten. Im wesentlichen aber konzentrierte sich Prousts Arbeit nach dem Erscheinen von Sodome et Gomorrhe II auf das Typoskript der Gefangenen und in den letzten Tagen vor seinem Tod auf jenes der Flüchtigen . Mehrmals hatte er sich zuvor schon mit seinem Verleger über die Titel der folgenden Bände unterhalten. Am liebsten hätte Proust alle weiteren Bände bis zu Le Temps retrouvé mit »Sodome et Gomorrhe« betitelt: III (Gefangenschaft Albertines), IV (Flucht Albertines), V (Robert de Saint-Loup), VI (Charlus während des Krieges) … doch der Verleger beharrte auf konkreten Einzeltiteln. Im Laufe des Sommers wurde erwogen, die beiden folgenden Bände mit »La Prisonnière« und »La Fugitive« zu betiteln. Als dann aber unter dem Titel La
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