Auf der Suche nach Tony McKay
zwei Tassen Kaffee. Sie sehen übernächtigt aus.
‘Wo ist Heiko?’
‘Duscht,’ sagt Rosa, ‘ist vor einer Viertelstunde aufgestanden, aber hat seitdem noch nichts gesagt.’
Das an sich ist in Norddeutschland nichts so Ungewöhnliches, wir reden eben nicht so viel. Angesichts der Umstände wirkt es aber ominös.
Britta stellt eine Tasse Kaffee vor mich.
‘Und?’ frage ich, ‘was ist der neueste Plan?’
‘Ich habe versucht einen Gebrauchtwagenhändler anzurufen, um herauszufinden, wie viel wir für Heikos Auto kriegen könnten, aber der hat natürlich zu, weil Sonntag ist,’ sagt Britta.
‘Und ich hab’ Harry angerufen, um zu sehen, ob er mir einen Vorschuss geben kann. Als der hörte, wie viel ich brauche, hat er einmal laut gelacht und dann aufgelegt.’
Wir sind also immer noch nicht weiter.
Heiko erscheint mit nassen Haaren in der Tür. Er guckt uns an.
‘Kaffee?’ fragt Britta, steht auf und holt ihm eine Tasse. Er zuckt mit den Schultern und setzt sich an den Tisch. Britta stellt ihm eine Tasse Kaffee hin. Er trinkt in langen, nachdenklichen Schlucken und schaut dabei aus dem Fenster. Dann zieht er das Polaroidfoto aus der Vordertasche seines Kapuzenpullovers, legt es vor sich auf den Tisch und betrachtet es stumm. Er beißt sich auf die Unterlippe, aber es kommen keine Tränen mehr.
‘Wir haben noch ein paar Ideen, wie wir das Geld vielleicht zusammenkriegen könnten,’ sagt Britta langsam, so als ob sie mit einem psychiatrischen Patienten spricht.
Heiko guckt sie lange an, dann zurück auf das Foto. Gesagt hat er immer noch nichts. Er nimmt einen letzten Schluck Kaffee, stellt die Tasse auf den Tisch, und steht auf. Dann nimmt er seine Jacke und dreht sich zu uns um.
‘Ich geh’ mal raus, frische Luft schnappen.’
Wir gucken uns an. Britta nickt Rosa zu.
‘Ich komm’ mit,’ sagt die schnell und steht auf.
‘Nein, ich muss eine Weile allein sein, nachdenken,’ sagt Heiko, ‘sorry.’
Er geht zur Tür und schließt sie hinter sich.
‘Der wird doch nicht...’ sagt Britta, spricht aber nicht aus, was sie befürchtet.
‘Lass’ ihn,’ sage ich, ‘er muss wahrscheinlich erstmal verdauen, was letzte Nacht passiert ist.’
Wir sitzen eine ganze Weile schweigend und trinken Kaffee.
‘Die haben mir den Strom abgestellt,’ sage ich beiläufig.
‘Echt? Warum das?’ fragt Rosa.
‘Ich hab’ die Rechnung nicht sofort gezahlt. Früher war das kein so großes Problem, da konnte ich warten, bis ich das Geld zusammen hatte und immer noch nach der ersten Mahnung oder so zahlen. Als ich die letzte Rechnung bekommen habe, da habe ich sie erstmal beiseite gelegt bis zum Monatsersten. Doch als ich heute Morgen kalt duschen musste, habe ich die Rechnung wieder hervorgekramt und bin dann mal durch’s Kleingedruckte gegangen. Seitdem der Laden privatisiert worden ist, stellen die genau vierzehn Tage nach Absenden der Rechnung den Strom ab, keine Mahnung mehr, gar nichts.’
Britta guckt schockiert. Es ist leicht zu erraten, was sie denkt. Dass Leuten wegen Armut der Strom abgestellt wird, passiert sonst nur in sozialkritischen Filmen, nicht im wirklichen Leben, oder? Und wenn es jemandem passiert, dann irgendwelchen armen Willis in Berlin-Neukölln, sicher nicht in H. Wenn es jetzt aber auch schon Akademiker in unterbezahlten Beschäftigungsverhältnissen trifft, wer ist dann als nächstes dran?
‘Wenn du willst, kannst du bei mir duschen,’ sagt sie schließlich.
‘Danke, aber lass man. Die kalte Dusche hat mich zumindest aufgeweckt.’
Rosa sitzt da und schüttelt den Kopf.
‘Der Tag ist nicht mehr weit, bis sich nur noch Banker und Beamte warme Duschen leisten können.’
‘Und wo es früher soziale Klassen gab, unterteilt sich die Gesellschaft dann nur mehr in die Warmduscher und die Kaltduscher,’ sage ich.
Wir lachen. Zuerst sind es nur vereinzelte Gluckser, dann gehen diese in einen langen, zwerchfellumklammernden Laut über, das Lachen wird lauter, hysterischer, uns laufen Tränen aus den Augen, wir krümmen uns, Bauchmuskeln verkrampft, es wird schmerzhaft, aber wir können nicht aufhören, die Hysterie hat uns fest im Griff. Rosa schreit ‘Aufhören!’ und fällt vom Stuhl, liegt auf dem Küchenboden zusammengerollt, lacht, lacht, lacht, trommelt mit der Faust auf den Boden, auch Britta und ich sinken jetzt erschöpft auf die Knie und lachen uns aus.
Es dauert lange, bis wir uns so weit beruhigt haben, dass wir wieder ein normales Gespräch
Weitere Kostenlose Bücher