Auf der Suche nach Tony McKay
Reißverschluss langsam auf. Zum Vorschein kommen grüne, gelbe und rosa-lila Bündel von Papier. Wir starren darauf ohne zu verstehen.
‘Sind das...?’ frage ich.
‘Euros,’ sagt Heiko, ‘Hunderter, Zweihunderter und Fünfhunderter.’
‘Hast du die selber gemacht?’ Rosas Gesicht spiegelt ihre Zweifel an der Echtheit der Bündel wider – keine von uns hat wohl jemals soviel Geld auf einmal gesehen.
Heiko guckt sie eine Weile an. ‘Nein, natürlich nicht.’
‘Wo hast du die denn hergekriegt?’
‘Aus dem Safe in der Zentrale, woher denn sonst? Erinnerst du dich, wo ich arbeite?’ fragt Heiko nun etwas ungeduldig.
‘Aus dem Safe? Wie viel ist das, sieht nach mehr als 5.000 aus,’ bemerkt Britta.
‘Ich habe es nicht gezählt, vermutlich so um die 150.000,’ sagt Heiko trocken.
Rosa pfeift zwischen ihren Zähnen hindurch.
Heiko betrachtet das Geld nachdenklich. ‘Ich dachte mir, wenn ich schon was nehme, dann soll sich das auch lohnen. Ich bin sowieso am Arsch, ob 5.000 oder 150.000.’
Damit steht er auf, geht zu Brittas kleinem Schnapskabinett, holt eine Flasche Grappa hervor und gießt sich seine leere Kaffeetasse von heute morgen halb voll.
‘Was denkst du, wann die Bank das merken wird?’ frage ich ihn.
Heiko guckt mich an, Glas in der Hand. Er nimmt einen Schluck, guckt zum Fenster raus und sagt, ‘Morgen früh um 8:35 Uhr. Der Hauptprokurist kommt pünktlich um 8:30, schließt auf, schaltet die Alarmanlage aus, geht an den Safe und holt das Geld raus, um es auf die Filialen zu verteilen. Ich habe fünf Jahre in der Zentrale gearbeitet, ich weiß, wie das abläuft.’
‘Wird der denn dann sofort die Polizei rufen?’
‘Wahrscheinlich. Und die werden sich eine Liste derer geben lassen, denen es hätte möglich sein können, an den Safe zu kommen.’
‘Und...wird dein Name auf der Liste stehen?’
‘Ja, aber nur ganz unten. Und bis sie bei mir angelangt sind, werden sie darüber gestolpert sein, dass Herr Thomas Bahrnsen, Filialleiter, sich kürzlich in den email account des Hauptprokuristen gehackt hat, und sich dort das Passwort und den Code für den Safe besorgt hat.’
‘Hat der das wirklich?’ fragt Britta begriffsstutzig.
Heiko guckt sie an. ‘Nee, hat der nicht und könnte der auch gar nicht. Der freut sich jeden Morgen auf’s Neue darüber, dass er es schafft, den Computer anzuschalten. Weißt du, was dessen Passwort ist? “Passwort1” – ich bitte dich, wie sollte so eine Niete es schaffen sich in den Account vom Hauptprokuristen zu hacken, der durch drei verschiedene Kodierungen geschützt ist?’
‘Genial,’ sagt Rosa, die im Kopf ein bisschen schneller ist als Britta, voller Anerkennung.
‘Danke,’ sagt Heiko trocken.
Es ist 21:00 Uhr. Von Brittas Wohnung zum Marktplatz sind es fünf Minuten, wir müssen also noch gut eine dreiviertel Stunde totschlagen. Heiko ist bei der dritten Kaffeetasse Grappa, kaut Fingernägel und guckt alle paar Minuten auf seine Uhr.
Zwei Umschläge liegen auf dem Tisch: der Originalumschlag aus der Männertoilette des Strip-Clubs mit 20.000 Euro, sowie ein kleinerer mit genau abgezählten 5.000 Euro. Der Plan ist, dass Rosa das Geld übergibt und Heiko das Paulchen im Austausch in Empfang nimmt.
Rosas Handy summt und kündigt einen Text an. Sie zieht die Stirn in Falten und öffnet die Nachricht. Wir gucken sie fragend an. ‘Von Harry,’ sagt sie und klappt ihr Handy wieder zu, ‘der will wissen, ob ich heute noch mal zur Arbeit erscheine und wo seine zehn Kisten Wodka sind.’
‘Ich dachte der bräuchte eine Weile, um zu merken, dass die fehlen, bei dem Durcheinander in seinem Lager,’ sage ich.
‘Hätte ich auch gedacht. Ich schätze es hat nicht geholfen, dass ich kürzlich Inventur gemacht habe. Hätte bei der Gelegenheit zehn Kisten weg inventieren sollen,’ sagt Rosa.
Britta schaltet den Fernseher ein, um uns alle ein wenig von der bevorstehenden Begegnung mit den Mafiosi abzulenken.
Die Nachrichten beinhalten das Übliche. Die Merkel hat sich mit dem französischen Präsidenten getroffen, um noch mehr deutsche Steuergelder in ein kürzlich bankrott gegangenes EU-Land zu schicken. In Madrid gehen sie auf die Strasse, um gegen staatliche Kürzungen zu demonstrieren. Europa geht den Bach runter. Woanders sieht es aber auch nicht besser aus: in den USA hat einmal mehr ein falsch verkabelter Teenager fünfzehn Leute und sich selber in seiner Schule erschossen. Zivilisation – war das wirklich so
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