Auf der Suche nach Tony McKay
bequem und mit nur einmal Umsteigen von West Ham aus zu erreichen ist.
Die Kneipe ist relativ leicht zu finden. Sie ist erstaunlich voll, wenn man bedenkt, dass es erst zwölf Uhr Mittags ist. Das Klientel sind in der Mehrzahl Männer im Alter von vielleicht 20 bis 40, alle fein im Nadelstreifenanzug und pinkem oder gelbem Hemd mit farblich passender Krawatte. In so einem Outfit bei uns zu Hause in eine Kneipe zu laufen, könnte böse Konsequenzen haben. Sie sehen aus wie die toxischere Variante der BWL-Studenten an der Uni. Camus lesen die in ihrer Freizeit eher nicht. Das Benehmen dieser Leute korrespondiert aber nur zum Teil mit ihrer äußeren Erscheinung: zwar lachen sie viel und laut und sehr selbstbewusst, doch kippen sie jede Menge Bier in sich hinein, essen kleine Tüten Chips zum Mittag und wirken allgemein so, als ob sie ihre Mutter ohne mit der Wimper zu zucken mit Anfang Fünzig ins Altersheim abschieben würden, nur um an das Erbe heranzukommen.
Gernot steht bereits mit Bierglas in der Hand und winkt Heiko zu. Er ist in unserem Alter, trägt die notwendige coole Designerbrille mit dunklem Rahmen und die gleiche Uniform, wie der Rest der Kneipengänger.
‘Mensch, dich hab ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Was treibt dich denn nach London?’
‘Och, Spontan-Urlaub,’ sagt Heiko mit wenig Überzeugung.
‘Und du musst Penny sein?’ fragt Gernot und guckt mich an.
Ich schätze es ist einfacher dies zu bejahen, als zu einer großen Rundum-Erklärung auszuholen – und was würden wir überhaupt sagen? Dies ist Maggie, mit der habe ich Abi gemacht, letztens waren wir zusammen mit ein paar Freunden auf St.Pauli, da haben wir einen Gangster um 20.000 Euro erleichtert, und dann haben dessen Leute im Gegenzug meinen Kater gekidnappt, daraufhin habe ich die Volksbank um 150.000 Euro beraubt, jetzt sind wir auf der Flucht und wohnen zur Zeit bei zwei polnischen Bauarbeitern in West Ham. Lieber nicht.
‘Ja, ich bin Penny, freut mich, dich mal kennenzulernen, Heiko hat schon so viel von dir erzählt,’ lüge ich und versuche dabei charmant zu lächeln.
‘Und, wie geht’s dir hier so in London?’ fragt Heiko. Smalltalk ist nicht gerade eine unserer Stärken im hohen Norden.
‘Gut, gut, echt Spitze, hier kannste Geld machen, das glaubst du nicht,’ sagt Gernot animiert, ob von dem Bier oder aber dem Gedanken an ganz viel Geld ist nicht klar.
‘Aber ich dachte, jetzt mit der globalen Finanzkrise, da ist das doch bestimmt alles schwieriger geworden,’ antwortet Heiko, ‘zumindest sagen die Chefs bei der Volksbank in H. das immer, wenn es keinen Bonus zu Weihnachten gibt.’
Gernot tippt sich an die Nase und guckt verschwörerisch. ‘Musst nur wissen wie,’ sagt er und nickt selbstzufrieden.
‘Aber was ist mit den Problemen an den Aktien-Märkten,’ frage ich, ‘was ist, wenn das alles den Bach runter geht, und wenn die Chinesen ernst machen und Truppen nach Deutschland schicken, um die besetzten Postgebäude zu räumen?’
‘Für die Chinesen kann das ein enormer Vorteil sein, wenn es da in Deutschland kriselt. Würde mich gar nicht wundern, wenn die dabei ihre Finger mit im Spiel haben. Je schlechter das für Deutschland aussieht, desto billiger kriegen sie dann die Unternehmen, die sie noch nicht aufgekauft haben. Außerdem lässt sich in so einer Krisenstimmung alles Mögliche durchsetzen, was sonst eher nicht machbar ist, was weiß ich, Verbot von den Gewerkschaften, Streichung von Urlaub, all das eben, was den Profit maximiert.’
Er hat damit natürlich völlig Recht und klingt fast wie ein Linker. Nur dass er dies so matter-of-fact daher sagt, fast wie eine Bedienungsanleitung:
1. Streue Gerüchte aus.
2. Lehn dich zurück und guck dir an, wie deine Gerüchte eine Panik an den Aktienmärkten verursachen.
3. Wenn die Krise perfekt ist, schlag zu und setze ein Umstrukturierungsprogramm in Gang, an dessen Ende die Masse der Bevölkerung schlechter dasteht und einige wenige das dicke Geld einfahren.
Von seiner Perspektive aus macht das alles Sinn, ist wie es sein sollte und wie es sich gehört. Was mich dabei unangenehm berührt ist das komplette Fehlen jeglichen Mitgefühls für die Millionen von Verlierern in diesem Prozess, die dabei wahrscheinlich nicht mal mehr eine Statistik wert sind. Armes Deutschland. Vor allem arm auch deshalb, weil es solche Leute, wie den hier generiert hat, die nur ihrem eigenen, persönlichen Vorteil
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