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Auf der Suche nach Tony McKay

Auf der Suche nach Tony McKay

Titel: Auf der Suche nach Tony McKay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yt Genthe
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geschrieben hätten, wenn das, was hinterher gekommen ist, einfach nur billiger Abklatsch der einen guten Idee war?’
    ‘Si tacuisses. Ja, stimmt schon.’
    Wir schweigen eine Weile. Eine Stewardess kommt zu unserer Reihe und bietet Tee und Kaffee an.
    ‘Aber was macht denn überhaupt ein gutes Buch aus?’ fragt Rosa jetzt, ‘du hast doch Literaturwissenschaft studiert.’
    ‘Darüber gibt es wahrscheinlich so viele Meinungen, wie es Leser gibt,’ antworte ich, ‘einige Leute wollen in erster Linie unterhalten, andere zum Nachdenken angeregt werden.’
    Ich denke einen Moment nach.
    ‘Ich erinnere mich an einen bestimmten Dozenten, der ein absoluter Hardliner in dieser Hinsicht war. Nach dessen Meinung musste gute Literatur fast physisch weh tun. Alles, was der für gut erklärt hat, war komplett unlesbar, entweder, weil es so furchtbar geschrieben war, oder aber weil die Thematik derart düster und deprimierend war, dass du hinterher nicht mehr leben wolltest. Nicht, dass ich diese Perspektive komplett ablehne, Kafka zum Beispiel ist echt genial, und dabei auch nicht gerade stimmungsaufhellend. Aber ob gute Literatur einen notwendigerweise deprimieren muss, da habe ich so meine Zweifel.’
    ‘Ich denke, ich verstehe, was du meinst. Ich habe mich immer gefragt, was das ganze Theater um den Zauberberg soll. Ich meine, da passiert genau nichts, die sitzen da rum, pflegen ihre Tuberkulose und geraten sich in die Haare um keiner weiß was. Als ich das Buch gelesen habe, da habe ich dabei immer phantasiert, dass einer von den beiden Sabblern am Berg ausrutscht und hinunter kullert und der andere in dem Versuch ihn zu retten gleich mit abstürzt,’ sagt Rosa ketzerisch.
    Ich muss lachen - die Vorstellung, dass der etwas sinistre Herr Naphta über einen Felsbrocken stolpert, mit den Armen um sich rudert, den humanistisch gesinnten Signore Settembrini zu fassen bekommt, sich festkrallt und beide dann zusammen die Schweizer Alpen hinunter kugeln amüsiert mich.
    ‘Aber warum denkst du, dass gewisse Autoren immer noch gelesen werden, auch wenn der allgemeine Geschmack sich weiter entwickelt hat?‘ frage ich Rosa.
    ‘Na, aus Klassengründen, um die Gesellschaft in eine Art literarische Bourgeousie und ein ungebildetes Proletariat zu unterteilen. Wenn du den Zauberberg gelesen hast, dann gehörst du dazu, egal, ob das Buch für dich Sinn macht oder nicht, und wenn du den nicht gelesen hast, dann brauchst du gar nicht erst mitzureden. Das ist sozusagen wie ein Siegelring oder ein ‘von’ vor deinem Nachnamen.’
    Britta dreht sich zu uns um. Sie sieht immer noch verweint aus.
    ‘Ich denke, du hast Recht, Rosa. Das, was ich da übersetze, ist zwar saumässig schlecht geschrieben, aber hat ziemlich hohe Auflagen. Nur siehst du nicht viele Frauen damit durch die Gegend laufen. In Hamburg in der U-Bahn, da setzt man sich lieber mit einem intellektuellen Buch hin, aber nicht mit etwas von Rosa-Rot. Die Leute schämen sich einfach.’
    ‘Würde ich aber auch,’ sagt Rosa, ‘genauso wie ich mich schämen würde, den Zauberberg in der U-Bahn zu lesen, denn das ist dann ein krasser Fall von Angeberei.’
    Ich muss lachen. Ich erinnere mich an einen Bekannten an der Uni. Dessen Versuche intellektuell und bildungsbürgerlich zu wirken hatten oft schon etwas Komisches, doch das Beste war, als er Thomas Mann zum Autoren irgendeiner billigen Fernsehserie erklärte, die sich ganz entfernt nach “Buddenbrooks” anhörte.
    ‘Dabei ist das wesentlich schwerer, schlechte Literatur zu schreiben, als ihr denkt,’ sagt Britta.
    Rosa und ich gucken uns an, sagen wie aus einem Mund “Italien” und brechen dann in schallendes Gelächter aus. Selbst Britta schafft es heute mitzulachen, doch als das ganze damals passierte, hat sie ein Jahr nicht mehr mit Rosa geredet. “Comedy is tragedy plus time”, wie es so schön heißt.
    Vor einigen Jahren sind Rosa, Britta und ich durch Brittas Vermittlung in eine Schreibwerkstatt für romantische Frauenliteratur in die Toskana gefahren. Der Rosa-Rot-Verlag organisiert das einmal im Jahr, um neue Autoren heranzuziehen. Britta dachte sich, dass sie nach all ihrer Erfahrung in der Übersetzungsabteilung das auch mal selber probieren sollte, Rosa und ich dachten uns “Wie schwer kann das sein?” in der Hoffnung auf verbesserte Einnahmemöglichkeiten. Eigentlich kostet diese Schreibwerkstatt eine Menge Geld, aber durch Brittas Vermittlung hatten wir das nahezu für die Hälfte bekommen. Was

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