Auf die feine Art
sollte ich Teemu Laaksonen aufsuchen und mir seine Version des Unfallhergangs anhören. Hohe Geschwindigkeit, Samstagabend und Fahrerflucht, die Kombination klang verdächtig nach Trunkenheit am Steuer.
Mallu kam mit einem Fotoalbum zurück. »Hier sind ein paar Fotos von Armi drin. Die meisten sind allerdings von mir. Hier ist Armi mit unserem Hund, da war sie sechs.«
Ein pummeliges kleines Mädchen mit langen Zöpfen lächelte selbstgefällig, den Arm um einen grimmig dreinschauenden Schäferhund gelegt. Auf der nächsten Seite posierten dasselbe Zopfmädchen und Mallu, damals noch erheblich molliger, neben ihren Fahrrädern. Mallu blätterte hastig einige Seiten weiter, zeigte mir Aufnahmen von Armis Konfirmation und Abitur und von der Abschlussfeier an der Krankenpflegeschule. Auf der letzten Seite war ein relativ neues Foto eingeklebt. Es zeigte Mallu, mindestens zehn Kilo schwerer als jetzt und glücklich lächelnd, mit einem Mann vor einem Christbaum. Wortlos riss Mallu das Foto aus dem Album, zerknüllte es und warf es in den Mülleimer. Ihr Atem ging plötzlich heftiger.
»Das hier ist von Armis und Kimmos Verlobung an Weihnachten.«
Der gleiche Christbaum, davor Kimmo und Armi Hand in Hand. Stolz präsentierten die beiden ihre Verlobungsringe. Ich erinnerte mich an Anttis Worte: »Letzten November hat’s endlich geklappt.« Bestimmt hatte Mallu an Weihnachten auch ihre Schwangerschaft gefeiert.
»Weißt du, wann wir Armi beerdigen können?«, fragte Mallu, als sie ihren Atem wieder unter Kontrolle hatte.
»Frühestens in zwei Wochen, würde ich sagen. Die polizeilichen Untersuchungen dauern meistens mehrere Tage, bis zu einer Woche. Habt ihr irgendwelche Wünsche?«
»Nein, wenn es nur möglichst bald passiert. Man soll seine Toten begraben. Ich hätte so gern mein Kind gesehen, aber sie haben’s mir nicht gezeigt. Angeblich war es sowieso in Stücke gegangen, weil sie mich ausschaben mussten. Wahrscheinlich haben sie es in den Müll geworfen. Oder vielleicht gibt es irgendeinen Friedhof für ausrangierte Kinder. Ich hab nicht danach gefragt.«
Mallu knallte das Fotoalbum zu und stieß dabei gegen ihre leere Kaffeetasse, die vom Tisch fiel, aber zum Glück nicht zersprang.
»Verdammt, jetzt red ich wieder von mir, dabei wolltest du was über Armi hören«, keuchte Mallu beim Aufheben. »Hast du denn noch Fragen? Hoffentlich ist die Maschine bald fertig, damit ich endlich wieder nach Lippajärvi komme«, fügte sie nervös hinzu. Es klang wie eine Aufforderung zu gehen, und ich richtete mich danach.
Erst im Auto ging mir auf, dass ich Mallu gar nicht gefragt hatte, wo sie am gestrigen Vormittag gewesen war. Die gleiche Frage musste ich auch einigen anderen stellen, zumindest Risto, Marita und Annamari. Make hatte einen Teil des Vormittags in seinem Geschäft verbracht, die übrige Zeit zu Hause. Von Hakalehto zur Jousenkaari hätte er es nicht weit gehabt, genau genommen lag Armis Wohnung fast an seinem Weg, wenn er ins Geschäft fuhr. Ich machte einen Abstecher zur Jousenkaari. Wie zu erwarten, hatte die Polizei den Eingang zu Armis Garten abgesperrt und die Haustür versiegelt. Eine Wache war allerdings nicht aufgestellt worden.
Ich stand eine Weile vor dem Kletterpflanzenzaun und schaute zu den Nachbarhäusern hinüber. Von den beiden mehrstöckigen Häusern auf der östlichen Seite konnte man mit einiger Wahrscheinlichkeit Armis Garten einsehen. Hoffentlich hatten Pertsas Männer das auch gemerkt und dort nachgefragt. Man sollte zwar meinen, jeder würde sofort die Polizei alarmieren, wenn er sah, dass im Nachbargarten gerade eine Frau erwürgt wurde. Aber so sicher war das gar nicht, als Polizistin hatte ich oft genug Betrunkene aufgesammelt, die mitten auf der Straße lagen, zweimal sogar Menschen, die auf dem Bürgersteig einen Schlaganfall gehabt hatten und gestorben waren – alle hatten sie stundenlang dagelegen, ohne dass auch nur ein Passant sich um sie gekümmert hätte.
Nach dem deprimierenden Gespräch mit Mallu musste ich mich erst mal abreagieren. Also brachte ich den Honda zur Kanzlei zurück und fuhr mit dem Fahrrad nach Nihtisilta. Ich trat wie eine Verrückte in die Pedale, fuhr total rücksichtslos und wäre zweimal beinahe unters Auto gekommen – beide Male auf dem Zebrastreifen. Vielleicht hatte der allgemeine Selbstvernichtungstrieb auch mich angesteckt. Was hatte ich denn gestern und heute anderes getan, als mit unglücklichen Menschen zu reden?
Pertsa hatte sich
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