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Auf die feine Art

Auf die feine Art

Titel: Auf die feine Art Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Zweiuhrbus gefahren.«
    Von der Jousenkaari nach Suvikumpu waren es zu Fuß nur ein paar Minuten. Warum, zum Teufel, hatten sich an diesem Samstag alle im Zentrum von Tapiola aufgehalten? Nur Antti und ich hatten zu Hause herumgehangen und unseren Kater auskuriert.
    »Was wollt ihr denn jetzt unternehmen, Henttonen und du, um Kimmo freizukriegen?«, fragte Annamari fordernd.
    »Ich suche Indizien dafür, dass jemand anders Armi umgebracht hat. Du sprichst sicher nicht gern darüber, Annamari, aber ich habe Gerüchte gehört, dass Armi den Verdacht hatte, Sanna wäre ermordet worden.«
    Annamari reagierte heftiger, als ich erwartet hatte. Sie wurde kirschrot, ihr Atem beschleunigte sich, und sie fing an zu zittern.
    »Ermordet!« Ihre Stimme war schneidend. »Sanna ist nicht ermordet worden! Das war ein Unfall! Sie hat ihren Geburtstag ein bisschen zu heftig begossen und ist ins Meer gefallen. Es war ein Unfall. Kein Selbstmord, wie manche behaupten. Warum hätte Sanna denn Selbstmord begehen sollen? Warum hätte sie jemand ermorden sollen?« Mit zitternden Händen goss sie sich Kognak ein.
    Ich überlegte, ob sie sich im Gespräch mit Armi vielleicht ebenso aufgeregt und zu guter Letzt ihre künftige Schwiegertochter erwürgt hatte. Dann dachte ich darüber nach, ob Mütter fähig sind, ihre Tochter zu ermorden und ihren Sohn für ihre eigenen Taten büßen zu lassen. Offenbar hatte ich immer noch ein idealisiertes Mutterbild, obwohl ich noch keine Mutter gesehen hatte, die ihm gerecht wurde.
    »Hat Sanna irgendwas Persönliches hinterlassen? Briefe, Tagebücher, Notizen?« Ich wollte Sannas Gedankenwelt kennen lernen, um Aufschluss über ihren Tod zu gewinnen. Vielleicht ging aus ihren Aufzeichnungen hervor, dass sie sich tatsächlich das Leben nehmen wollte.
    »Sanna hat Dutzende von Tagebüchern voll geschrieben«, sagte Annamari stolz. »Aber Henrik und Kimmo haben nach Sannas Tod alle verbrannt. Sie meinten, Sanna hätte das so gewollt. Und das letzte hat Sanna mit ins Meer genommen. Oben im Wandschrank sind noch ein paar Papiere von ihr, willst du sie sehen?«
    Wir gingen ins Obergeschoss, wo Annamari mich in eine Art Kleiderkammer führte, die mit allem möglichen Zeug voll gestopft war. In einer Ecke standen zwei Schuhkartons. Vorsichtig blätterte ich den Inhalt des einen durch. Dabei fiel aus einem Stapel Papier, offenbar Mitschriften von Vorlesungen, ein Foto heraus, auf dem sich eine sehr unschuldig wirkende Sanna und ein hässlicher Mann mit schwarzem Bart küssten.
    »Wer ist der Mann?«, fragte ich Annamari. Sie rang die Hände, als ginge die Antwort über ihre Kräfte.
    »Das ist dieser furchtbare Hakala. Otso Hakala. Zum Glück sitzt er wegen Drogenhandels im Gefängnis …«
    »War Sanna mit ihm befreundet?«
    »Sie hat sich nichts aus ihm gemacht! Der Kerl hat sie sich mit seinen Drogen gefügig gemacht …«
    »Kann ich die Sachen mitnehmen? Vielleicht finde ich etwas, das mich weiterbringt.«
    »Wieso meinst du, du könntest Kimmo helfen, indem du Sannas Leben untersuchst?«, fragte Annamari skeptisch, und ich wusste keine Antwort. Klammheimlich steckte ich das Foto ein.
    Annamari ging ins Erdgeschoss, um eine Tragetasche zu holen, in die wir Sannas Papiere packen konnten. Sie klapperte lange herum, rief dann, sie ginge nach draußen in den Schuppen. Plötzlich wurden meine Erinnerungen an Sanna lebendig. Es war einer der letzten Abende im Mai, ein paar Tage vor dem Ende des Schuljahrs und vor Sannas Abiturfeier. Unsere Band hatte geprobt, anschließend waren wir zum Saufen in den Park gezogen. Dort stießen noch andere zu uns, darunter Sanna. Innerhalb eines Jahres hatte sie sich in der Kleinstadt einen abgrundschlechten Ruf erworben. Vielen war es geradezu unbegreiflich, dass eine Rumtreiberin wie sie ein Einserabitur hingelegt hatte. Ich kannte sie praktisch nicht, hatte sie nur aus der Ferne bewundert und sie um ihre braunen Augen und ihre verletzliche Schönheit beneidet.
    Irgendwann waren von den Mädchen nur noch Sanna und ich übrig. So ging das immer, in unserer Kleinstadt mussten Mädchen auf ihren Ruf achten und abends brav nach Hause gehen. Sanna saß auf einem Felsbrocken und drehte sich eine Zigarette. Auch das galt als Zeichen von Verkommenheit: Wenn eine schon rauchte, musste sie wenigstens genug Geld haben, um sich eine Schachtel leichte Zigaretten kaufen zu können.
    Obwohl ich eigentlich nicht rauchte, bat ich Sanna um eine Selbstgedrehte. Inzwischen ist mir klar, dass es ein

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